Cromwell, Bernard
erzitterte einen Herzschlag lang, aber dann
schluckte er und löste widerwillig seinen Griff um Sabans Arm. »Du läufst Gefahr,
alles zu verlieren!«, zischte er Kereval zu.
»Kereval tut, was Erek will«, bemerkte Camaban, noch immer
ruhig und gelassen, während er für den Clanführer antwortete; dann beugte er
sich vor und ließ die beiden Grätenstückchen ins Feuer fallen. »Ich habe mir
schon lange gewünscht, dich kennen zu lernen, Scathel von Sarmennyn«, fuhr er
lächelnd fort, »denn man hört viel über dich, und ich Narr dachte, von dir
lernen zu können. Stattdessen sehe ich jetzt, dass ich dich einiges werde
lehren müssen.«
Scathel blickte in das Feuer, wo die beiden Grätenstückchen
auf einem brennenden Holzscheit lagen. Einen Moment lang starrte er sie an,
dann griff er hinunter und hob sie vorsichtig auf, eines nach dem anderen; die
Haare auf seinem Arm kräuselten sich in den Flammen, und in der Hütte breitete
sich ein scheußlicher Geruch von versengtem Fleisch aus - aber Scathel zuckte
nicht einmal mit der Wimper. Er spuckte auf die Gräten, dann zeigte er auf
Camaban. »Du wirst niemals einen unserer Tempel fortbringen, Krüppel, niemals!«
Er schnipste die Grätenstückchen in Camabans Schoss, zog den feuchten Wolfspelz
um seine mageren Körper und verließ schweigend die Festhalle.
»Willkommen in Sarmennyn«, sagte Camaban zu Saban.
»Was tue ich hier eigentlich?«, verlangte Saban zu wissen.
»Das werde ich dir morgen mitteilen. Morgen werde ich dir
ein neues Leben schenken. Aber heute Abend, Bruder, iss, wenn du kannst.« Mehr
wollte er nicht sagen.
Am nächsten Tag, in dem frischen, böigen Wind, der auf den
Regen der Nacht gefolgt war, führte Camaban Haragg, Saban und Cagan zum
Meerestempel. Er lag eine ganze Strecke westlich von der Siedlung auf einer
niedrigen Landzunge, wo sich die See weiß schäumend an den Klippen brach. Cagan
wollte nicht in die Nähe des Tempels, in dem seine Schwester gestorben war,
sondern kauerte sich stattdessen wimmernd zwischen ein paar Felsbrocken nieder;
Haragg beruhigte den traurigen Koloss, tätschelte ihn wie ein kleines Kind und
sprach beschwichtigend auf ihn ein, obwohl Cagan taub war und seine Worte nicht
hören konnte. Dann ließ Haragg Cagan in seiner Felsspalte zurück und folgte den
Brüdern zu dem verlassenen Tempel, der von den klagenden Schreien der weißen
Vögel erfüllt war.
Das Bauwerk bestand aus einem simplen Kreis von zwölf
Steinen, jeder ungefähr so groß wie ein ausgewachsener Mann, und von diesem
Kreis führte ein kurzer Korridor, flankiert von einem Dutzend kleinerer
Steine, zum Rand des Kliffs. Das Kliff war weder hoch noch steil, und
unmittelbar jenseits des oberen Randes, nur ein kleines Stück darunter, ragte
ein breiter Vorsprung aus dem Felsen, auf dem Feuerholz gestapelt lag. »Sie
haben schon angefangen, den Scheiterhaufen aufzuschichten«, sagte Haragg
voller Abscheu.
»Kereval hat mir gesagt, sie machen das Feuer jedes Jahr
noch größer«, erläuterte Camaban. »Sie wollen sichergehen, dass die
diesjährige Sonnenbraut schnell stirbt.« Der Wind zerzauste sein Haar und ließ
die kleinen Knochen klappern, die am Saum seines Gewands hingen. »Das Mädchen
wird innerhalb des Steinkreises entkleidet und wartet dann, bis die Sonne das
Meer berührt. Das ist der Moment, in dem sie die Steinwege entlanggehen und in
die Flammen springen muss. Ich habe an der Zeremonie letztes Jahr
teilgenommen«, fuhr er fort, »bei der das Mädchen es mit der Angst zu tun
bekam. Versuchte, geradewegs durch das Feuer ins Wasser zu springen.« Er
lachte bei der Erinnerung. »Was für einen Tod sie hatte!«
»Sie gehen also nicht bereitwillig?«, erkundigte Saban
sich betroffen.
»Einige schon«, meinte Haragg. »Meine Tochter ist willig
in den Tod gesprungen.« Der Riese weinte jetzt. »Sie ist zu ihrem Ehemann
gegangen, wie es sich für eine Braut gehört, und sie hat bei jedem Schritt des
Weges gelächelt.«
Saban überlief ein Schauder. Er blickte auf den Rand des
Kliffs und versuchte sich vorzustellen, wie Haraggs Tochter in das lodernde
Feuer getreten war. Er hörte sie im Geist schreien, sah ihr langes Haar heller
als die Sonne aufleuchten, die sie heiraten würde, und plötzlich wollte er um
Aurenna weinen. Er konnte ihr Gesicht einfach nicht aus seinen Gedanken
verbannen.
»Und Miyacs verbrannte Knochen wurden zu Asche zerstampft
und auf den Feldern ausgestreut«, fuhr Haragg fort. »Aber wozu? Wozu?« Er brüllte
das
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