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Crossfire 1: Kontakt

Crossfire 1: Kontakt

Titel: Crossfire 1: Kontakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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den
Genen Eiweiße wurden und sich diese Eiweißmoleküle
falteten und in ihren unterschiedlichen Mischungen den Zellkreislauf
beeinflussten. Es gab so vieles, auf das die Genforschung keine
Antwort wusste. Und während sich die Situation auf der Welt
global verschlechterte, wurden Forschungsgelder gestrichen, und mit
jedem Jahrzehnt wurden weniger Antworten auf drängende Fragen
gefunden.
    Doch Shipley wusste, dass es einer dummen Ausrede gleichkam, die
Ursache für Naomis Verhalten in ihren Genen zu suchen. Menschen
waren mehr als nur Chemie. Menschen trugen Verantwortung für
ihre Entscheidungen.
    Vielleicht waren es sogar Shipleys eigene Entscheidungen gewesen,
die Naomi geformt hatten. Stille, Schlichtheit, Wahrheit… Sein
ganzes Leben lang hatte Shipley versucht, sich von den Prinzipien des
Lichts leiten zu lassen. Aber Stille, die umfassende Ruhe, in der man
seinem inneren Licht lauschen konnte, bedingte auch, dass man nicht
mit anderen sprach, sie nicht ausreichend leitete und führte.
Schlichtheit… Er hatte stets befürchtet, dass er seinem
Kind seinen eigenen Willen aufdrängen könnte und Naomi so
zu seinem Werkzeug machte, statt dass sie zu sich selbst fand. War er
in dieser Hinsicht womöglich zu weit gegangen, bis Naomi seine
Zurückhaltung als Gleichgültigkeit empfunden hatte? Was die
Wahrheit anging – nun, auf Grund seiner Erfahrung als Arzt
wusste Shipley, dass es Leute gab, die nicht viel Wahrheit ertragen
konnten.
    Und diese Wahrheit war für ein Kind vielleicht
tatsächlich zu schwer zu ertragen gewesen… Naomi hatte
einmal zu ihm gesagt: »Ich glaubt, dass du Gott mehr lieb hast
als mich.« Das habe ich, dachte Shipley. Aber Naomi war
nicht das Kind gewesen, das mit einer solchen Wahrheit hatte umgehen
können.
    Nun lag Shipley erschöpft in seiner Schlafnische auf der Ariel und starrte in die Finsternis. Er und Tariji hatten
sechsunddreißig Leute aufgeweckt. Sechsunddreißig von den
sechstausend, die noch im Kälteschlaf lagen. Vierundzwanzig
davon waren bereits hinab zur Oberfläche geflogen,
einschließlich Naomi. Die übrigen zwölf sollten
morgen früh folgen, während Shipley weitere
sechsunddreißig aufwecken würde. Danach würden sie
die Aufweckprozedur unterbrechen, bis die Menschen auf der
Oberfläche alles für die nächsten Neuankömmlinge
vorbereitet hatten.
    Alles war sorgfältig geplant. Man hatte aus den über QVV
übermittelten Erfahrungen der militärischen Siedler auf den
anderen vier erdähnlichen Planeten gelernt. Zudem profitierten
sie von Jakes und Gails akribisch durchdachten Vorbereitungen.
    Akribisch. Durchdacht. Vorbereitet. Was für vorzügliche
Eigenschaften, doch nicht eine davon hatte Shipley bei seiner Tochter
geholfen. So wie auch jetzt nichts half.
    Weshalb hatte Naomi sich überhaupt entschieden, mit nach
Greentrees zu kommen? Es war Jahrzehnte her, seit sie zuletzt an
einer »Zusammenkunft zur Stillen Andacht« teilgenommen
hatte. Shipley war überrascht gewesen, als sie erklärt
hatte, sich der Übersiedlung anschließen zu wollen.
Überrascht – und dann erfreut. Damals hatte er geglaubt,
dass sich Naomis inneres Licht noch immer entdecken, noch immer
hervorlocken ließe. Womöglich hatte sie diesem Licht
endlich Beachtung geschenkt. Greentrees konnte für sie ein neuer
Anfang sein, so wie für die Neuen Quäker, die weitab von
dem verderblichen, abstumpfenden, lautstarken Materialismus der
weltumspannenden Erdkultur ihren Glauben folgen wollten.
    Inzwischen war sich Shipley dessen nicht mehr so sicher.
Während er in der Dunkelheit lag, schalt er sich selbst für
seine Zweifel. Naomi hatte sich entschieden, herzukommen und ihr
früheres Leben hinter sich zu lassen. Er als ihr Vater musste
Vertrauen zu ihr haben. Er musste so handeln, wie es seinem Vertrauen
in das Licht entsprach, und der Rest würde sich ergeben.
»Lass dein Leben sprechen«, so hatte George Fox es den
ersten Quäkern vor beinahe sechshundert Jahren aufgetragen.
    Genau das musste Shipley tun und sich dann darauf verlassen, dass
sein Leben und die übrigen Leben der Gemeinschaft auch zu Naomi
sprachen.
    Seine Augen brannten. Er wünschte sich, er könnte Naomi
noch immer lieben. Das war das Schlimmste, diese Mühe, die
eigene Tochter zu lieben. Es entsetzte ihn, dass er sich
wünschte, anstelle von Naomi wäre Tariji Brown sein Kind.
Oder auch die energische, vernünftige Gail Cutler. Oder sogar
Lucy Lasky, deren vorübergehende Psychose auf der Ariel Shipley nur bewiesen hatte,

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