Crossfire 2: Feuerprobe
Jake
ließ sich von ihr beim Aufsetzen helfen. Er trank in kleinen
Schlucken und knabberte an dem Essen. Er brauchte alle Stärke,
die er kriegen konnte.
Karim kniete neben ihm nieder. Aufgeregt verkündete er:
»Sie wächst wieder, Jake! Die Ranke!«
Er nickte. Das hatte er erwartet. Wie William Shipley vor langer
Zeit vermutet hatte, waren die Abschiedsknospen Informationspakete.
Und sie enthielten nicht nur genetische Informationen. Die Ranken und
ihre Biofilme – in einer Symbiose, die so fremd war, dass sie
mit menschlichen Worten nicht wirklich beschrieben werden konnte
– speicherten Informationen in atomaren oder molekularen
Strukturen. Alle Informationen. Wenn Shipley und Jake Recht hatten,
dann hatte die riesige unterirdische Biomasse mit Hilfe der
Abschiedsknospen eine Ranke entstehen lassen, die alles wusste, was
die Ranken vor so langer Zeit auf dem Schiff gewusst hatten.
Diese Ranken hatten einen sehr viel jüngeren Jake gekannt
– und Karim und Lucy und den toten Dr.. Shipley. Sie hatten von
Greentrees gewusst und von den dort durchgeführten biologischen
Experimenten. Sie hatten gewusst, wie die Menschen von den
raumfahrenden Pelzlingen gefangen genommen worden waren. Sie hatten
an dem Plan teilgehabt, mit dem die Ranken den Krieg gegen ihren
alten Feind zu gewinnen hofften – den Plan, der Jahrhunderte
lang vorbereitet worden und jetzt vermutlich erfolgreich
abgeschlossen war.
Die Ranken auf diesem Schiff hatten die Menschen – sozusagen
als Zwischenwirte – mit einem genetisch maßgeschneiderten
Virus infiziert. Dieses Virus hatte die Menschen krank gemacht, und
der betagte William Shipley war beinahe daran gestorben. Dann hatte
das Virus die Artengrenze zu den Pelzlingen überschritten, deren
Spezies ebenfalls auf DNA beruhte. Doch bei ihnen verursachte es
nicht die gleiche Krankheit. Stattdessen setzte es sich im Gehirn der
Pelzlinge fest und ließ sie so antriebslos werden, dass sie nur
noch das Lebensnotwendigste taten. Außerdem machte es sie
für andere Pelzlinge sexuell unwiderstehlich – was eine
optimale Verbreitung der Krankheit garantierte.
Sie würden nichts mehr erfinden, nicht mehr ins All reisen
und nicht mehr Krieg führen. Stattdessen würden sie
träumend in der Sonne sitzen, einer Pflanze so ähnlich, wie
ihr pflanzenähnlicher Feind sie nur machen konnte. Antriebslos,
machtlos, zahm.
Es war der lebende Tod, vor dem die raumfahrenden Pelzlinge nun
nach Greentrees geflohen waren.
Diese auf Greentrees neu gewachsene Ranke wusste das alles. Sie
war ein Ergebnis der Informationen, die in den Abschiedsknospen
gespeichert gewesen waren. Sie wusste, wie man das Virus erzeugte,
genau wie es die Ranken an Bord des Schiffs gewusst hatten: als
trinkbare Lösung, die die Menschen als Zwischenwirt benutzen
konnte.
Hinter der einzelnen Ranke sah Jake die wilden Pelzlinge. Sie
standen da wie zu Anfang, die Speerschäfte auf den Boden
gestützt und die Laserpistolen in der anderen Hand.
Karim erhob sich. »Ich gehe zu der Ranke, Jake. Auch wenn ich
nicht weiß, wie wir ohne Computer mit ihr kommunizieren sollen.
Alex wird gleich zu dir kommen. Sie kümmert sich noch um Ben. Er
hat einen hässlichen Schlag auf den Kopf bekommen. Die Ranke ist
inzwischen fast einen halben Meter hoch. Siehst du sie? Ich drehe
dich…«
»Nein«, unterbrach ihn Jake. »Nicht.«
Karim hielt überrascht inne. Dann, fasziniert vom Schauspiel
des fremdartigen Wachstums, ging er davon. Jake hörte Jon McBain
im Hintergrund plappern.
Kurz darauf kniete Alex wieder neben ihm und reichte ihm mehr
Wasser. Nachdem er getrunken hatte, beugte sie sich herab, bis ihre
Gesichter auf einer Höhe waren. Die Augen unter den schwarzen
Wimpern musterten ihn unverwandt.
Sie hatte erraten, was passieren würde.
»Das kannst du nicht tun, Jake.«
»Das… werde ich nicht«, keuchte er. »Die Ranke
tut es.«
»Du hast mir die Geschichte immer wieder erzählt«,
sagte Alex. »Irgendwer, ein Mensch, muss es trinken und sich
anstecken lassen und dann die wilden Pelzlinge anhauchen. Du bist der
Einzige, den sie nah genug an sich heranlassen. Aber du bist nicht
mehr kräftig genug dafür. Verstehst du mich? Zuletzt warst
du in den Vierzigern, nicht in den Achtzigern! Und außerdem
haben diese Pelzlinge uns allen gerade das Leben gerettet!«
»Hast du etwa einen besseren Plan?«
Sie schwieg.
Matt sagte er: »Die wilden Pelzlinge werden nicht
sterben.«
»Das eine ist genauso wie das andere. Und du wirst
Weitere Kostenlose Bücher