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Crossfire 2: Feuerprobe

Crossfire 2: Feuerprobe

Titel: Crossfire 2: Feuerprobe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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intelligenten, aber anscheinend wenig
neugierigen Wesen, die fremder waren als alles, was Karim sich
hätte vorstellen können.
    »Ranke? Kannst du mich hören? Bitte erzähl mir mehr
überdiesen Planeten!«, bat er.
    Der Übersetzer gab keine Antwort.
     
    Karim lief in immer größer werdenden Kreisen um den
Würfel herum, geleitet von der Navigationshilfe im
Handgelenks-Computer seines Raumanzugs. Lucy weigerte sich, ihn zu
begleiten. Sie saß in der Kiste und starrte ins Leere.
»Ich denke nach«, schnauzte sie ihn an, wann immer er sie
danach fragte.
    Egal, wie weit er ging, die Landschaft änderte sich nicht.
War »Landschaft« überhaupt der richtige Ausdruck? Hoch
aufragende Ranken, in Grüppchen zu drei oder vier oder fünf
Exemplaren, mit verflochtenen Tentakeln, die sich zwischen den
Rankengruppen ausbreiteten und halb im Boden versunken waren. Wann
immer Karim den Stiefel hob, gab der Schlamm einen schmatzenden Laut
von sich. Sein Anzug maß eine Temperatur von dreiundvierzig
Grad Celsius. An jedem Abend regnete es. Der Himmel blieb bedeckt,
und die nächtliche Schwärze war die einzige
Veränderung auf dieser eintönigen Welt. Er hörte nie
auch nur einen einzigen Laut.
    Diese Stille war das Schlimmste.
    »Können wir nach Hause?«, fragte er die Ranke mit
dem Übersetzer. Sie antwortete nicht.
    Nur einmal sprach sie noch zu ihnen. Am Abend des zweiten Tages,
als er und Lucy dicht beisammen im Würfel lagen, verkündete
die klanglose Stimme des Übersetzers: »Unser Feind in eurem
Beiboot ist fort. Der Feind hat unseren Feind in eurem Beiboot
mitgenommen.«
    »Haben sie?«, entfuhr es Lucy. »Wann? Glaubst du,
sie werden eure übrigen Feinde anstecken?«
    Sie erhielt keine Antwort.
     
    Tage vergingen.
    Dann Wochen.
    Karims Bart wuchs unter dem Helm, erst kratzig und dann so lang,
dass er unter dem Kinn verfilzte. Karim wagte gar nicht daran zu
denken, wie furchtbar er in seinem Anzug riechen musste. Lucys
Gesicht wurde blass, dann aschgrau. Ihre Augen wirkten stumpf und
starr. Sie aß nur, wenn es unumgänglich war, und verlor
viel zu viel Gewicht.
    Karim lief dreißig Kilometer am Tag, schleppte sich durch
den Schlamm. Wie hielt Lucy es nur ununterbrochen in der Kiste aus?
Er stellte fest, dass er sich darüber immer weniger Gedanken
machte.
    Die Stille war sein Feind. Die Stille und die erschreckende
Tatsache, dass sich niemals etwas veränderte. Der graue Himmel,
der graue Regen, das graue, sättigende und doch unbefriedigende
Essen, die Leere. Und die reglosen, fremdartigen Ranken, eine einzige
planetengroße Ranke, soweit er wusste, die niemals etwas
sagte.
    Für die Ranken stellte sich diese Welt nicht so dar wie
für ihn. Er wusste das, hielt es sich immer wieder vor Augen.
Dr.. Shipley hatte einmal erklärt, dass die Ranken ihre Zeit
»träumend in der Sonne«, verbrachten. Dieses riesige
intelligente Geschöpf musste von Gedanken erfüllt sein.
Informationen wurden durch Moleküle, Pheromone oder was auch
immer weitergeleitet. Gewiss beschäftigte es sich mit
Wissenschaft. Mit Politik? Lyrik? Religion? Wurden Scherze
ausgetauscht? Was auch immer, er und Lucy waren davon ausgeschlossen,
so vollkommen, als würden sie gar nicht existieren.
    Zerlumpte Geister auf einer fremdartigen Welt.
     
    Er verlor das Gefühl für die Zeit. Noch mehr Tage
vergingen. Noch mehr Wochen.
    Eines Tages – er stand wieder knöcheltief im Schlamm
– schrie er die nächststehende Gruppe Außerirdischer
an: »Ich will nach Hause! Hört ihr mich? Ich will nach
Hause!«
    Keine Antwort.
    Die Tränen liefen Karim über die Wangen. Er wusste
nicht, wann er angefangen hatte zu weinen, und er schämte sich
seiner Tränen zutiefst. Sein Vater hätte es gehasst, den
Sohn weinen zu sehen. Sein Großvater hätte ihn dafür
verachtet. Er hob eine Hand, um die Tränen fortzuwischen, und
stieß damit gegen den Helm.
    Wut war um so vieles besser als Tränen!
    Er griff in die nächste Rankengruppe und riss einen Tentakel
ab.
    »Wollt ihr mich jetzt vielleicht nach Hause bringen, ebn
sharmoota? Khaby labwa? Reicht euch das?«
    Er riss einen weiteren Tentakel ab, dann einen Haufen
»Blätter«, die sich wie fleischige Hände
anfühlten. Die Ranken würden sich zur Wehr setzen, sie
würden ihn töten oder ihn zumindest außer Gefecht
setzen, ihn bewusstlos machen oder ihm auf irgendeinem chemischen
Wege Schmerz zufügen. Schwer atmend wartete Karim, bereit, den
Schmerz willkommen zu heißen. Er würde alles
begrüßen, was anders war

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