Crossfire. Versuchung: Band 1 Roman (German Edition)
zog mich mit sich. »Nicht jetzt.«
»Wann dann?«, murmelte ich und folgte ihm, aber nur, um meiner Mom eine Szene zu ersparen.
Ich nippte weiter an meinem Champagner. Aus reinem Selbsterhaltungstrieb verhielt ich mich so, wie ich es schon seit Jahren nicht mehr hatte tun müssen: Ich verdrängte jegliches Gefühl und schaltete auf Autopilot. Ich war dementsprechend nicht wirklich bei der Sache, als Gideon mich verschiedenen Leuten vorstellte, aber ich gab mir Mühe, in den richtigen Momenten zu lächeln oder etwas zu sagen, und fand, dass ich es ganz gut machte.
Doch die ganze Zeit über war ich mir der eisigen Barriere zwischen Gideon und mir bewusst, spürte ich meinen Zorn und meine Verletztheit. Jetzt bekam ich tatsächlich den Beweis dafür, dass Gideon nicht das geringste Interesse daran hatte, sich mit Frauen, mit denen er schlief, zu unterhalten, denn er redete kein einziges Wort mit mir.
Als das Dinner begann, folgte ich ihm in den Speisesaal und stocherte in meinem Essen herum. Ich trank ein paar Gläser Rotwein und hörte ihn mit unseren Tischnachbarn plaudern. Doch ich achtete nicht auf die Worte, sondern lauschte nur dem Rhythmus seiner verführerisch tiefen, ruhigen Stimme. Er unternahm keine Versuche, mich in die Konversation einzubeziehen, worüber ich froh war, denn mir wäre auch nichts Nettes eingefallen.
Erst als er aufstand und unter Applaus zur Bühne ging, wurde ich aufmerksam. Ich drehte mich auf meinem Stuhl herum und beobachtete, wie er auf das Rednerpult zuging. Ich bewunderte seine geschmeidigen Bewegungen, seine attraktive Erscheinung. Jeder Schritt verschaffte ihm Aufmerksamkeit und Respekt, was angesichts seines leichtfüßigen, lässigen Gangs eine Leistung war.
Nach unserem sexuellen Exzess in der Limousine schien er kein bisschen mitgenommen. Er wirkte völlig anders – wie der Mann, dem ich vor meinen ersten Arbeitstag in der Lobby des Crossfire Buildings begegnet war, verschlossen und mächtig.
»In Nordamerika«, begann er seine Rede, »wurde jede vierte Frau und jeder sechste Mann in der Kindheit sexuell missbraucht. Sehen Sie sich um. Irgendjemand an Ihrem Tisch ist entweder selbst Opfer oder kennt eines – ein inakzeptabler Zustand.«
Gideon zog das Publikum sofort in seinen Bann. Auch ich hörte seinem wohlklingenden Bariton fasziniert zu. Aber mich bewegte vor allem das Thema, das er leidenschaftlich, manchmal sogar in schockierenden Einzelheiten erörterte. Allmählich taute ich auf und vergaß meine Wut und mein lädiertes Selbstbewusstsein. Genauso hingerissen wie die Leute ringsum hing ich an seinen Lippen. Das war nicht der Mann, der mich zu Beginn des Abends so schrecklich verletzt hatte, sondern ein ausgezeichneter Redner, und er sprach über Dinge, die mir sehr wichtig waren.
Als er endete, stand ich auf und applaudierte, womit ich sowohl ihn als auch mich selbst überraschte. Doch die anderen Zuhörer folgten meinem Beispiel und dankten ihm mit Standing Ovations. In meiner Nähe erklangen wohlverdiente Lobeshymnen.
»Sie können sich wirklich glücklich schätzen!«, hörte ich eine weibliche Stimme neben mir.
Ich wandte mich zu der Frau um, die mich angesprochen hatte. Es war eine schöne Rothaarige Anfang vierzig.
»Wir sind bloß … Freunde.«
Sie lächelte, als wüsste sie Bescheid.
Als die Leute nach und nach den Speisesaal verließen, beschloss ich, nach Hause zu fahren. Ich wollte gerade meine Handtasche nehmen, als ein junger Mann mit widerspenstigem, kastanienbraunem Haar und freundlichen graugrünen Augen auf mich zukam. Er sah gut aus, und mit seinem jungenhaften Grinsen entlockte er mir das erste echte Lächeln seit der Fahrt in der Limousine.
»Hallo«, grüßte er.
Offenbar wusste er, wer ich war, was mich in die peinliche Situation brachte, so tun zu müssen, als würde ich ihn kennen. »Hallo …«
Da lachte er sehr charmant. »Ich bin Christopher Vidal, Gideons Bruder.«
»Oh, natürlich.« Ich wurde rot. Ich konnte es nicht fassen, dass ich so sehr in Selbstmitleid ertrank, dass ich nicht mal mehr klar denken konnte.
»Sie werden ja ganz rot.«
»Tut mir leid«, entschuldigte ich mich verlegen. »Ich weiß nicht, wie ich’s sagen soll, ohne dass es unhöflich klingt – ich habe in einem Artikel etwas über Sie gelesen.«
»Und daran erinnern Sie sich? Das schmeichelt mir. Hoffentlich war es nicht in der Page Six .«
Das Klatschblatt war berühmt dafür, kompromittierendes Material über New Yorks VIPs zu
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