Cruzifixus
Edelmann von altspanischem Geblüt ließ sich von niemandem in die Suppe spucken:
„Che ciedi! Che vuoi?“
Leporello stotterte vor Schrecken bleich:
„Dite di no!“
Der Don lachte dem steinernem Gast frech ins Gesicht:
„Ho fermo il core in petto. Non ho timor: verró!”
Nein, einer vom Schlag Don Juans wich nicht einmal vor dem Leibhaftigen zurück! In seiner Brust schlug ein Herz von Stein. Er war der geborene Rebell, ein zweiter Prometheus der dem Ratschluss der Götter trotzte. Selbst jetzt, den Tod vor Augen, bekehrte, bekreuzigte er sich nicht. Mozarts Musik wirbelte um Don Giovanni herum. Von dem kreiselnden Strudel ging ein mächtiger Sog, eine unheimliche Anziehungskraft aus, die alles in sich aufsog. Über dem Abgrund des Höllenschlunds offenbarte sich die wahre Natur des Helden des Hedos und des Hades: er war Dionysos, der Magier der Ekstase, der lüsternen Begierden, des ausschweifenden Eros, des brünstigen Verlangens, des unbändigen Sexualtriebs. Intuitiv erkannte Simon die Zusammenhänge, die wahre Natur des Dämons. Es war der Bocksfüßige, der den Menschen die Flötentöne beigebracht und mit der Fiedel zum ekstatischen Tanz aufspielte.
Der Kampf zwischen den Kräften der hierarchischen Ordnung und denen des anarchischen Chaos spitzte sich zu, die Spannung erreichte ihren Siedepunkt. Mit diesem Finale hatte Mozart den Olymp der Kompositionskunst erklommen. Mit spielerischer Leichtigkeit schüttelte der Maestro magische Melodien voll betörender Raffinesse, voll ergreifender Schönheit aus dem Füllhorn seines unvergleichlichen Genius. Um Simon herum versank die Welt. Das wild wirbelnde Crescendo riss ihn mit sich, entführte ihn ins Zauberreich des Surrealen, des Schemen- und Schattenhaften. Die Höllenschlünde taten sich auf, um Don Giovanni mit Haut und Haar zu verschlingen. Feuerzungen leckten an seiner schlanken, sehnigen Gestalt. Leporello bibberte vor Angst:
„Che ceffo disparato! Che gesti da dannato!“
In das diabolisch, düstere Moll drang ein kehliges Röcheln, ein Gebelfere und Geräuspere. Wer in die Oper ging, um dort herumzuhusten und seine Bazillen zu verspritzen, der gehörte geköpft, gevierteilt und gespießt. Intuitiv fühlte Simon mit Märchenkönig Ludwig, der mutterseelenallein in seiner Loge saß, um Lohengrin oder Parsifal zu lauschen. Der Steinerne mahnte:
„Tempo più non v’è!“
Das höllische Bühnenspektakel näherte sich seinem dramatischen Ende:
„Pentiti scellerato!“
Der Don zeigte dem Spielverderber den Stinkefinger:
„No vecchio infatuato!“
Wie auf ein geheimes Losungswort sprang eine Schar von kleinen Spießteufelchen aus einer schwarzen Hutschachtel. Sie umringten ihr Opfer, um es in die Hölle zu schleppen:
„Vieni, c’è un mal peggior!”
Ehe in die Flammen einhüllten, schrie er noch einmal auf:
„Che smania! Che inferno, che terror!“
Leporello stammelte starr vor Angst:
„Come mi fa terror!”
Sein Herr fuhr zur Hölle. War das die Moral von der Geschichte? War Paintinger ein bayerischer Don Juan gewesen? War er ob seiner Schandtaten verurteilt und „gelyncht“ worden?
Über den verwinkelten Gassen hing die ockergelbe, von grauen Dellen demolierte Vollmondscheibe. Glatt und graniten erhoben sich die nackten Felswände, bildeten die Kulisse für die Türme und Kuppeln der alten Bischofsstadt. Auf dem Felsrücken räkelten sich die Rondelle, Basteien und Bastionen der mittelalterlichen Trutzburg im Rampenlicht. Die Zwingfeste der Bischöfe lag da wie ein von einem Narkosegeschoss nur kurzzeitig betäubtes Raubtier. Vroni und Simon traten aus dem Halbdämmer der Gassen und querten den hell erleuchteten Domplatz. Die Fassade des Doms glänzte in warmen Gold und Ockertönen. Die vergoldeten Turmknäufe waren in den Lichtkegeln der Scheinwerferbatterien gefangen. Die Majestät der Bauten ließ Simon an vergangene, mit Pomp und Prunk inszenierte, aristokratische Schauspiele denken. Fröstelnd schlang Vroni ihren weißen Wollschal um ihren weiß
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