Cruzifixus
eben nicht so leicht ins Bockshorn jagen. Für Simon stand unumstößlich fest, dass höhere und niedere Dämonen, Incubi und Succubi nur in der Vorstellungswelt von Exorzisten, Gespenstersehern und Halbidioten existierten. Hexen, Druden und Spießteufel waren nichts weiter als idolatrische Ikonen der Furcht, klischeehafte Schemen des Schreckens. Tod und Teufel begegnete einem in der Maske des Biedermanns. Das lehrte die Geschichte. Bisweilen gab es jedoch Tage, an denen es nicht mit rechten Dingen zuzugehen, alles wie verhext zu sein schien. Simon saß in einem von flackernden, rußenden Kienfackeln spärlich erleuchteten Kellersaal. Das Dekor des unterirdischen Gewölbes schien von einem abartigen Irrkopf entworfen zu sein. Simon fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Der gestärkte Kragen scheuerte am Hals. Der Hosenbund zwickte. Am Revers seines taubengrauen Sakkos prangte ein rotes Templerkreuz, das ihn als Teilnehmer des Konvents der „Fraternität der armen Ritter vom wahren Kreuz“ auswies. Inmitten der in weite, weiße Tuchmäntel gehüllten, mit purpurnen, königsblauen und sepiafarbenen Schärpen drapierten Ordensmänner fühlte er sich wie ein Fremdkörper, wie ein Aussätziger. Die Ritter der Tafelrunde beäugten ihn mit unverhohlenem Misstrauen. Das düstere, mittelalterliche Ambiente schlug ihm aufs Gemüt, die fetttriefenden Fleischbrocken lagen ihm wie Bleibarren im Magen. Nach dem üppigen Festmahl spannte sein Hemd um die Taille. Simon fühlte sich wie eine gestopfte Gans, wie ein Mastschwein auf dem Weg zum Schlachter. Um den süßlichen Nachgeschmack der zum Dessert gereichten Schokopralinees hinunterzuspülen, stürzte er einen Becher Messwein hinunter. Als offiziell akkreditierter Pressevertreter konnte es ihm schließlich egal sein ob er unter diesen stieläugigen Lemuren eine „bella figura“ machte. Er hielt sich einer der blutroten, mit schwarzem Jesus-Monogramm bestickten Stoffservietten vor dem Mund und wischte sich die fettigen Lippen. Wie lange sollte er hier noch sitzen und gute Miene machen? Wieso hatte ihn seine Eminenz Archidiaconus Niederstrasser zur Tafelrunde der armen Ritter geladen? Seine süßlich, säuselnde Stimme klang ihm im Ohr:
„Kommen Sie! Machen Sie sich ein eigenes Bild. Berichten Sie über unsere Arbeit, die ganz in der Tradition der christlichen Caritas steht und sich dem Geist der Agape verpflichtet fühlt!“
Was wollte der alte Häretikerhäscher von ihm? Wieso saß er an einem Tisch mit Exzellenzen und Eminenzen, Durchlauchten und Hochwürden. Wo die Ritter feiern, hatte der Bauer bekanntlich nichts verloren. Er hatte das unangenehme Gefühl in der falschen Vorstellung zu sitzen. Die Veranstaltung erinnerte an einen Inquisitorenkongress, an einen Konvent der Rosenkreuzer-Rotarier, an ein Symposium sophistischer Kritikaster. Seit 9 Uhr in der früh versuchte Simon den Fachvorträgen zu folgen, Debatten und Diskursen seine Aufmerksamkeit zu schenken. Nach der nachmittäglichen Kaffeepause hatte Simon die zweifelhafte Qual der Wahl gehabt, ob er die Workshop-Themen „Chileasmus und paulinische Soteriologie“, „Pagane Mysterien der Wiedergeburt: Bluttaufe und Durchgang zum Licht“, „Messianische Motive der Verheißung und Erfüllung: Logos spermatikos und die Idee des Parakleten“ oder „Arkandisziplin in der eucharistischen Abendmahlsfeier“ vertiefend behandeln wollte. Ohne lange zu überlegen hatte er sich fürs Abendmahl entschieden und war im Halbdunkel der hintersten Reihe eingedöst. Erregtes Stimmengewirr hatte ihn aus dem Halbschlaf geholt:
„Hört, hört, die Hostie! Bruder, ihr vergesst wohl die Wandlung des Weins! Sub utraque species!“
„Sakrament bleibt Sakrament, Blut hin Leib her! Tempus vivit!!“
Während Simon den Schlaf des Gerechten schlief, war ringsum eine heftige Diskussion über den Charakter der Eucharistiefeier entbrannt.
„Was ist mit Geist und Gnade Gottes? Soli Deo Gloria!“
„Wollt ihr mich auf den Arm nehmen? Sic tacuisses philosophus mansisses!“
„Was stört es die Eiche, wenn sich die Sau an ihr kratzt? Quem dies vidit veniens superbum, hunc dies vidit fugiens iacentem!“
„Scheiß auf Seneca! Sic itur ad astra!“
Schließlich war es Niederstrasser, der die
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