Cruzifixus
verteidigen und die Lehren des Nazareners unverfälscht zu bewahren, getreu den Paradigmen des Propheten von Fiore: in necessariis unitas, in dubiis libertas, in omnibus caritas. Wer im Heerbann des heiligen Geists streitet, der hat nichts zu befürchten, denn er wird den Fürsten der Finsternis trotzen! Nequaquam vacuum, legis jugum, libertas evangelii, dei gloria intacta.“
Seine Eminenz hieb seine rechte Faust auf den Tisch, als ob er den Wahlspruch des Ordens in die Köpfe hämmern wolle:
„Spes in virtute, salus in victoria!“
Ein beifälliges Gemurmel lief durch die sich schließenden Reihen. Um ihn herum begannen die Ritter zu skandieren:
„Deus est Demon inversus!“
„Sub umbra alarum tuarum, Jehova!“
„Una sancta ecclesia gnostica universalis!“
Simon bekam es mit der Angst zu tun. Eine eisige, frostige Kälte kroch unter seine Haut. Er fühlte sich wie ein Lämmchen inmitten eines Rudels hungriger Wölfe. Er fühlte sich wie ein Gefangener, der von grimmen Schergen vor die Schranken des Inquisitionsgerichts gezerrt wird. Um ihn herum verschwammen die Grenzen von Zeit und Raum. Die Umrisse unheimlicher, Furcht und Schrecken verbreitender Apparaturen schälten sich aus dem gespenstischen Halbdunkel: Judaswiegen, Wippgalgen, Plätt- und Kneifzangen, Knochensägen, mit eisernen Stacheln bewehrte „spanische Kitzler“. Der bloße Anblick der Gerätschaften genügte, um ihn erstarren, um ihn in Panik geraten zu lassen. Er spannte seine Muskeln, versuchte sich dem Würgegriff seiner Peiniger zu entziehen. Vergebens! Sie würden ihn packen, ihm heißes Wachs in Augen und Ohren träufeln, mit glühenden Zangen die Leber aus dem Leib reißen. Der „gute“ Zweck heiligte bekanntlich die drakonischen Mittel. Wie durch dichten Nebel gewahrte er eine emotionslose Stimme:
„Antwortet auf meine Frage! Umbram fugat veritas, noctem lux eliminat! Wie oft hattet ihr Umgang mit dem Dämon? Wie lautete sein Name? Azazel, Belial, Marbas, Beleth? Gesteht und ich will Milde walten lassen.“
Ein maskenhaftes, wachsweißes Gesicht beugte sich über ihn. Was wollte dieser perverse Schweinepriester von ihm? Um der Folter zu entgehen, würde er alles gestehen: das er fleischlichen Umgang mit einer ganzen Hexenhorde pflegte, das er den Befehlen Luzifers aufs Wort gehorchte, das er den Götzen Baphomet anbetete und aufs Kreuz Jesu spuckte. Kaum hatte er seine „Untaten“ gebeichtet, spielte ein feines, maliziöses Lächeln um die blutleeren Lippen des Finsterlings:
„Was wisst ihr über den Mord an Bruder Dirrigl?“
Seine grüngrau gesprenkelten Augen fixierten ihn, suchten ihn mit suggestiver, hypnotischer Kraft zum Geständnis zu zwingen:
„Habt ihr ihn umgebracht? Oder war es diese glutäugige Hexe? Oder dieser größenwahnsinnige Monomane? Sprecht!“
Simon blieb ihm die Antwort schuldig. Die ungehalten klingende Stimme seines Tischnachbarn holte ihn in die Gegenwart zurück.
„Der Leib Christi!“
Simon erwachte aus seiner Stasis, nickte dem alten Graubart zu und würgte den Brotbrocken hinunter. Die Wandlung von Form und Materie zu Geist und Leere blieb das größte aller Mysterien.
Im Hinterstüberl der „Linde“ war das unergründliche Wesen der Transsubstantiation Nebensache. Am runden Tisch ging es handfest und lautstark zu. In Erwartung des sicheren Sieges gluckste Ewald:
„Ha! Herz hat jeder!“
Er schien ein Bombenblatt in Hinterhand zu haben. Simon sah das Fiasko kommen. Ihnen drohte eine vernichtende Niederlage, Schneider, Schwarz. Die hoffnungsvollen Blicke seiner Mitspieler waren auf ihn gerichtet. Vinzenz und Sebald stammelten unisono:
„Und? Hast was?“
Simon rechnete in fieberhafter Eile. Sein höchster Trumpf war der Gras Unter. Wenn sich seine Befürchtungen bestätigten, hatte ihr Gegner „fünf Laufende“: vier Ober und den Eichel Unter als Dreingabe. Wie er es auch drehte und wendete: sie hatten nicht den Hauch einer Chance. Dabei hatte er fünf Trümpfe - drei kleine Herzen, dazu den Schellen und den Gras Unter. Dennoch würde er
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