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Cruzifixus

Cruzifixus

Titel: Cruzifixus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Peter Dinesh Bauer
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suchte den Nebel zu durchdringen, suchte die in unerreichbare Ferne gerückte Zeit zu überbrücken. Es war im letzten Kriegssommer, bei einem Empfang für die Gaugebirgsschützen gewesen, als er dem Idol seiner Jugend Aug in Aug gegenüberstand. Hitler hatte ihm eine mit Brillanten besetzte Spange für den Sieg im Gauschützenwettbewerb an die vor Stolz geschwellte Brust geheftet und ihn dabei eindringlich gemustert. Ein durchdringender Blick aus stahlgrauen Augen. Die blässliche, pergamentene Haut, das versteinerte, von tiefen Runzeln und Falten zerklüftete Gesicht hatten ihn wie einen Untoten aussehen lassen. Und dennoch hatte diesen vor der Zeit gealterten, gebrechlich und hilfsbedürftig wirkenden Mann das Fluidum eines Magiers umgeben. Eine unerklärliche Macht, die ihn heftig schlucken und seinen Blick senken ließ.
                Er war nie ein blindwütiger, ideologischer Fanatiker, ein „Nibelungentreuer“ gewesen. Das ganze Brimborium bei den Aufmärschen, die pangermanischen Phrasen, das Säbelgerassel war ihm zuwider gewesen. Was ihn faszinierte war die Idee hinter dem Führerkult. Hitler verkörperte das Ideal des absoluten, autokratischen Herrschers, der über Wohl und Wehe seines Volks gebot. Einer führte, die anderen folgten. Der Führer war für ihn ein Heilsbringer, ein zweiter Jesus, der Heiland des Herrenmenschen. Der „Mann aus dem Volk“ war ein Moses der Arier, der sein auserwähltes Volk ins gelobte Land führte – und dabei wie sein Vorbild mit kompromissloser Härte zu Werke ging. Der Führer hatte jedoch einen gravierenden Fehler begangen: in seiner Hybris hatte er wie Jesus angefangen, sich in die Rolle des Messias hineinzusteigern und zu glauben, dass er auserwählt und somit unbesiegbar, unverwundbar sei. Folgerichtig hatten beide „Lichtgestalten“ ein unrühmliches Ende gefunden: der eine auf Golgatha, der andere im Bunker in Berlin.
                Paintinger hatte nicht vor, es ihnen gleich zu tun. Man musste es wie die Ratten und nicht wie die Lemminge halten – das sinkende Schiff verlassen und nicht über die Klippe springen. In den letzten Kriegstagen hatte er sich der Gestellungspflicht entzogen und sich auf die Almen in den Bergen abgesetzt. Als die Amis kamen, hatte er eine Kehrtwende um 180 Grad vollzogen. Mit der Überzeugungskraft des geborenen Heuchlers gebärdete er sich als entschiedener Gegner des verbrecherischen Nazi-Regimes und nutzte seine Insider-Informationen, um bei den neuen Herren Bonuspunkte zu sammeln. Ohne von Gewissensbissen geplagt zu werden, lieferte er den Abwehrleuten vom OSS einige alte, abgehalfterte Nazi-Bonzen ans Messer. Wer nach oben wollte, musste eben Opfer bringen.
                Der große Coup kam aber erst: er hatte einen schwungvollen Handel mit Nazi-Devotionalien aufgezogen und durch sein kaufmännisches Geschick die Aufmerksamkeit eines ehrgeizigen, geltungssüchtigen und geldgierigen Versorgungsoffiziers auf sich gezogen. Major Joshua Zachary Brandon stammte aus dem Mittelwesten und war der Sprössling einer streng gläubigen Farmerfamilie. Für seine tiefreligiösen Eltern stand unumstößlich fest, dass Jesus das “Licht der Welt“ war. Zu Paintingers Glück war Joshua jedoch aus der Art geschlagen. Major Brandon hatte eine Schwäche für harte Drinks und dralle „Dirndls“. Aufgrund seiner chronischen Geldnot war er stets bestrebt seinen kärglichen Armeesold aufzubessern. Er und Joshua waren ein perfektes Gespann, ein Dream-Team, das sich gegenseitig die Bälle zuspielte. Die US-Boys waren ganz heiß auf SS-Souvenirs und Nazi-Necessaires für die „Froleins“: Uniformmäntel, Koppelschlösser mit SS-Runen, eiserne Kreuze, dazu Broschen, Ohrringe, Colliers und Halskettchen, die sie bei er Berghof-Inventur beiseite schafften. Der Handel blühte. Militaria großdeutscher Provenienz fanden einen reißenden Absatz zu Höchstpreisen. Den mit der Wehrmachts-Ware gemachten Gewinn wurde in ausrangierte Armeefahrzeuge, Jeeps, Laster und Omnibusse, investiert, die ihm sein „Freund“ Brandon zum „nice price“ überließ. Ja, seinen Aufstieg verdankte er dem Niedergang des Dritten Reichs. Wieso also sollte er mit der Geschichte hadern?
                Als die Amis Anfang der 50er Jahre die imposanten Ruinen des Berghofs sprengen und die Zugänge zu den Bunkeranlagen zumauerten hatte er von der Militärverwaltung den lukrativen, gut dotierten Auftrag erhalten, Schutt und Trümmer zu

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