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Cruzifixus

Cruzifixus

Titel: Cruzifixus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Peter Dinesh Bauer
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breitete sich eine flache, von Grasbüscheln spärlich besiedelte Kiesbank. Der Kies knirschte unter seinen Stiefeln, als er sich anschickte durch eine ausgewaschene Erosionsrinne die steil abfallende Hangkante zu erklimmen. Oben angelangt sah er schon die rot-weiß-rote Markierung und folgte ihr in ein finsteres Fichtendickicht hinein. Der Steig schraubte sich in Mäandern den Hang empor. Unterhalb der Passhöhe wurde der Steig stetig steiler. Paintinger schnaufte wie eine dampfige Schindmähre, schwitzte wie ein Schwein. Trotz des Anstiegs, war seine Laune im Sinkflug begriffen. Oben am Röhrmoossattel atmete er hörbar auf und tupfte sich mit dem Schnupftuch den Schweiß von der Stirn:
                „Mich leckst, das geht in die Haxen! Das kostet Körner!“
                In Anbetracht der widrigen Witterungsverhältnisse verzichtete er auf den weiteren Aufstieg zum Höllenstein und schlug stattdessen den Weg zum oberen Röhrmoos ein. Dicke Tropfen prasselten mit der Wucht von Hagelkörnern auf seine Stirn. Paintinger hielt seinen Kopf gesenkt und stemmte sich gegen die Unbilden von Wind und Wetter. Wie ein Rohrspatz schimpfend schlitterte er über einen glitschigen Knüppeldamm und hangelte sich wie ein rachitischer Orang-Utan die Leitersprossen hinauf:
                „Mich hast halbert. Die Brotzeit hab ich mir hart verdient!“
                Ungeduldig nestelte er die Schließen des Rucksacks auf, stürzte sich wie ein ausgehungerter Braunbär auf den mitgebrachten Proviant.
                Nachdem er einige mit Bergkäse, Hartwurst und rohem Speck belegte Brote verschlungen hatte, widmete er sich der flüssigen Nahrung. Ein zärtlicher Ausdruck trat in seine Augen, als er das wellig gewordene Etikett glatt strich: eine goldene, von einem stilisierten Lorbeerkranz bekrönte Hopfendolde. Unter der allegorischen Darstellung prangte eine von Ranken- und Knorpelwerk umspielte Schriftkartusche. Schnörkelige Buchstaben in altdeutscher Schönschrift verwiesen auf die altbajuwarische Brautradition: „Prieninger Urtyp – gebraut nach dem bayerischen Reinheitsgebot von anno 1516“. Ein routinierter Fingerdruck ließ den Bügelverschluss nach hinten kippen. Paintinger nahm einen tiefen Schluck, rülpste herzhaft und wischte sich mit seinen haarigen Pranken den Schaum vom Mund. Dann stopft er ein Sitzkissen unter seine weit ausladenden Arschbacken und machte es sich so gut es ging auf dem Hochsitz bequem.
                Ein Jäger brauchte drei Dinge: Beharrlichkeit, Ausdauer und ein gerüttelt Maß an Geduld. Sich in Geduld zu üben, seine Gedanken zu fokussieren, die Sinne zu schärfen, das war seine Art von Meditation. Paintinger war ein alter Hase. Er hatte das Waidwerk von der Pike auf gelernt – und zwar von dem besten Lehrmeister, den man sich nur denken konnte: der Jäger-Gustl. Hatte sein halbes Leben auf dem Jägerstand verbracht und strahlte eine stoische Gelassenheit, eine unerschütterliche Bierruhe aus. Gustl war ein Meister, der Lob und Tadel ohne Worte zu verteilen wusste und seinem Jünger ebenso einfache, wie zweckmäßige Maximen und Lebensklugheiten mit auf dem Weg gab:
                „Die Sau ist da, damit du sie abstichst!“ „Der Her spricht: die Rache ist mein. Ich aber sage: die Blutwurst gehört mir!“ „Jeder Depp hat seine Jünger und einen Judas, der den Reibach macht!“  
     
    Zufrieden wie ein Baby am Schnuller nuckelte der Panther an seinem Flascherl, grunzte und furzte froh vergnügt vor sich hin. In seinem Bergrevier lag ihm die Welt zu Füßen. Hier oben war er der König des Dschungels, war er der Herr über Leben und Tod. Bis auf einige unbedeutende Einsprengsel und Enklaven gehörte ihm das ganze Areal rund um den Reisenberg. Seine Latifundien umfassten eine Fläche von mehreren Zehntausend Hektar. Riesige Liegenschaften, die zwar kaum Gewinn abwarfen, aber von unschätzbarem, ideellem Wert waren. Wie dereinst König Ludwig gebot er hier oben als unumschränkter Autokrat über sein Märchenreich in den Wolken.
                Es hatte einiger Überredungskunst, einiger sublimer Drohungen und einiger drastischer Schritte bedurft, um Waldbesitzer und Almpächter gleichermaßen von den Vorteilen eines Verkaufs ihrer Parzellen und Nutzungsrechte an ihn zu überzeugen. Der Gründervater eines Imperiums durfte nicht zu zimperlich oder wählerisch beim Einsatz legaler wie illegaler Machtmittel,

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