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Cruzifixus

Cruzifixus

Titel: Cruzifixus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Peter Dinesh Bauer
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die Welt nach der Auflösung der Dissonanzen in ewige Harmonie!“
                Simon nickte in einer Gebärde resignierter Schicksalsergebenheit. Vinzenz ließ nicht locker:
                „Apropos Spiritualität! Ich hab dir doch neulich von den Chiffren der Erinnerung, der Symbolik des Spirituellen erzählt? Wusstest du, dass die rote Marter eine keltische Kultstätte war, ein magischer Platz an dem sich zwei erdenergetische Ströme kreuzen? Wenn du mich fragst – das ist alles andere als ein Zufall! Der Mörder wusste um den Genius loci, um jenen wirkmächtigen Kreuzpunkt der Kraft!“
                Die Beschwörung des Okkulten, des Transzendenten schien Vinzenz in Ekstase zu versetzen, schien sein Blut in Wallung geraten zu lassen. Im Überschwang euphorischer Gefühle trat er das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Der altersschwache Sechszylinder röhrte wie ein Sechzehnender zur Brunftzeit. Der Wagen beschleunigte, schlingerte auf der ausgefahrenen, von tiefen Querrinnen durchfurchten Piste gefährlich hin- und her. Bei jedem Schlagloch schlugen die ramponierten Stoßdämpfer durch. Simon fühlte sich wie ein Rodeoreiter auf einem kopfscheuen Mustang. Wieso tat er sich das an? Schlummerten in ihm verborgene, masochistische Neigungen? Statt gemütlich im Café zu sitzen und sich die hauchzarten Aromen fein gemahlener Arabica-Bohnen um die Nase wehen zu lassen, hockte er in dieser Schrottmühle und ließ sich über die Metaphern des Metaphysischen, die Genese des Gottesbegriffs aufklären:
                „Gott ist ein kontrafaktisches Konstrukt. In der Bibel, im Buch Genesis steht: Gott schuf den Menschen nach seinem Ebenbild! In Wahrheit ist es genau umgekehrt. Die Freimaurer haben sich ein höchstes Wesen, einen obersten Architekten zurechtgezimmert und Kant hat den Begriff des großen Uhrmachers geprägt. Weißt du, ich sehe in Gott eher einen abstrakten Maler, einen impressionistischen Tonschöpfer, eine Mischung aus Duchamp und Debussy, die Quersumme aus Renoir und Ravel!“
                Simon fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Sein Bauchgefühl sagte ihm, dass Vinzenz am Limit fuhr. Um ihn auszubremsen versetzte er:
                „Wie wär’s mit dem Quotient von Van Gogh und Van Halen, der Quadratwurzel aus Kandinsky und Stravinsky?“
                Wie erwartet geriet der alte Rechthaber in Harnisch:
                „Spar dir deine unqualifizierten Seitenhiebe. Wenn du nichts Substantielles, nichts Essentielles….“
                Da ließ ihn das durchdringende, alarmierende Tuten eines Signalhorns verstummen. Ein voll beladener Holzlaster steuerte auf direktem Kollisionskurs. Seine nach vorn gereckte Metallschnauze zielte wie ein Rammbock auf ihre Kühlerhaube. Starr vor Schreck stotterte Simon:
                „Da, da vorn, verdammt pass auf…Jesus Maria!“
                Weiter kam er nicht im liturgischen Text. In einer Reflexbewegung riss Vinzenz das Steuer herum. Gewaltige kinetische Kräfte zerrten an ihn, schleuderten ihn herum. Simon schloss die Augen, erwartete das Unausweichliche. Der Wagen schlitterte übers Bankett, schrammte haarscharf an dem Koloss aus Eisen und Stahl vorbei. Unter tatkräftiger Mithilfe ihrer beiden Schutzengel gelang es Vinzenz die Karre unter Kontrolle zu bekommen. Simon nahm alles wie in Zeitlupe wahr, fühlte sich wie unter Narkose. Von irgendwo her hörte er es raunen:
                „Mich leckst am Arsch! Das war knapp.“
                Er wollte einen boshaften Kommentar vom Stapel lassen, bekam jedoch kein Wort heraus. Allmählich ließ das Zittern seiner Hände nach, begann sein Blut wieder in gewohnten Bahnen zu zirkulieren. Mühsam wandte er den Kopf: Vinzenz saß reglos, sein Gesicht war weiß wie Wachs. Langsam kam Leben in die „Mumie“, verschafften sich Angst und Empörung Gehör:
                „Sapprament, Ze fix, dieses damische Riesenrhinozeros!“
                Einmal in Rage, fluchte er wie ein Bierkutscher:
                „Dieser hirnlose Kachelbrunzer, dieser brunzdumme Fichtenfiaker! Der Blitz soll dich aufm Scheißhaus treffen!“
                Simon verzog den Mund zum schiefen Lächeln einer unter halbseitiger Gesichtslähmung leidenden Mona Lisa:
                „Wo bleibt dein Gottvertrauen! Wer früher stirbt, kommt eher in den

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