Cryer's Cross
nichts aus. Ab und zu zumindest.« Er lacht. »Ich weiß allerdings nicht genau, wie ich dir helfen kann. Soll ich dich beschäftigen? Zum Beispiel dadurch, dass wir beide morgen ausreiten?«
»Ja, so in etwa. Hört sich gut an. Ich sage meinen Eltern, dass ich ein wenig Abstand brauche von den Gedanken, die mir während der Arbeit auf der Farm durch den Kopf kreisen. Sie werden mich gehen lassen. Sie machen sich Sorgen um mich.«
»Und, kommst du am Sonntag zu Marlenas Geburtstagsparty?«
»Ja«, antwortet Kendall. »Ja, danke. Okay.« Erleichtert seufzt sie auf. »Das klingt gut. Ich hoffe, du bist nicht genervt von mir. Du bist ein wahrer Held, dass du das für mich tust.«
»Na ja, es ist schon echt schwer. Wenn ich dich nur ansehe, dann will ich schon … irgendetwas tun.«
»Oh, vergiss es!«
»Ja, ich weiß, es ist jämmerlich. Ich arbeite daran.«
Kendall springt auf, ein wenig verlegen und bereit, diesen Teil des Dramas zum Abschluss zu bringen.
»Okay, bist du bereit, weiterzuspielen?«
Sie streckt ihm die Hand hin.
»Die Regeln besagen, dass das Spiel erst zu Ende ist, wenn du mich absolut böse gefoult hast und ich am Boden liege.«
»He, das war kein böses Foul!« Sie gibt ihm einen Klaps auf den Kopf.
Jacián nimmt ihre Hand und steht auf.
»Gestern? Mich um die Taille zu packen und mir ein Bein zu stellen? Nein, das war echt raffiniert, Fletcher. Keine Frage. Nun«, meint er leichthin, sieht sie dabei aber durchdringend an. »Mal sehen, ob du heute deine Finger von mir lassen kannst.« Mit dem Daumen streift er eine letzte Träne von ihrem Kinn.
Ein unerwartetes, sehnsüchtiges Ziehen breitet sich in ihrem Körper aus, und sie öffnet überrascht den Mund.
»Kein Problem«, entgegnet sie, aber sie ist sich nicht ganz sicher, ob sie das auch so meint.
Wir
Wir hatten dich. Für einen kurzen Moment hatten Wir dich in Unseren Fängen. Du warst eine Fliege in unserem Netz.
Unsere Geduld ist am Ende, Unsere Seelen in Holz gefangen. Wir brauchen dich.
Komm zurück, kleine Fliege!
Rette mich!
Ich lebe.
Sag ja.
21
Der Samstag beginnt schön. Beim Frühstück denkt Kendall an die Schule und an den Tisch. Sie weiß, dass ihr Gehirn ihr einen Streich spielt. Es führt sie in die Irre. Es muss der Stress sein. Mit Jacián zusammen sein und sich normal verhalten? Hört sich toll an. Wieder einmal reiten? Fantastisch. Das letzte Mal ist Monate her.
»Du hast den Rest der Saison frei«, erklärt ihr Vater. »Möchtest du noch mal zu deinem Hirnklempner?«
»Nathan!«, rügt Mrs Fletcher.
»Entschuldige. Zu deiner Therapeutin?«
»Mir macht es nichts aus, wenn du sie einen Hirnklempner nennst«, meint Kendall, den Mund voller Pfannkuchen. »Und nein, ich glaube, es geht mir gut. Ich muss nur wieder ein paar der alten Techniken anwenden, um die Zwänge in den Griff zu bekommen. Ich weiß, was ich tun muss. Es ist nur so, dass ich die ganze Zeit in der Schule an Nico denken muss. Und auf den Feldern … es hat mich ziemlich beschäftigt. Hat mich ein bisschen verrückt gemacht.« Ziemlich verrückt sogar, wenn sie ehrlich war.
»Ich habe es dir ja gesagt, Nathan«, behauptet Mrs Fletcher, »es war keine gute Idee, ihr so einen strikten Stundenplan zu diktieren, nach allem, was passiert ist.«
»He!«, regt sich Mr Fletcher auf. »Wieso ist denn plötzlich alles meine Schuld?«
»Und dann die Absage von der Juilliard …«
»Vielen Dank, dass du mich daran erinnerst«, wirft Kendall ein. Die Erwähnung der Juilliard und die Erinnerung an das Fehlen jeglicher Zukunftspläne versetzen ihrer Stimmung einen gewaltigen Dämpfer.
»Tut mir leid«, entgegnet Mrs Fletcher. »Aber du musst wirklich bald einmal über andere Möglichkeiten nachdenken.«
»Aber Mum!« Kendall lässt den Kopf auf den Tisch sinken. Doch sie weiß, dass ihre Mutter recht hat.
»Und was hast du heute vor?«
Kendall hebt den Kopf. »Ich will ausreiten.«
»Mit wem?«
»Mit … Jacián.« Sie hat ein schlechtes Gewissen, es auszusprechen, als ob Nico ihr zuhören könnte.
»Kommt Marlena auch mit?«
»Nein«, gibt sie zurück, »sie ist noch nicht so weit, sich wieder auf ein Pferd zu setzen.«
Mr Fletcher kichert.
Ihre Mutter sieht besorgt aus. »Kann er denn reiten?«
»Ja. Marlena hat gesagt, sie hätten in Arizona Dutzende von Pferden gehabt. Und gelegentlich reitet er das von Hector.«
»Aber ihr bleibt doch in der Nähe der Stadt, nicht wahr? Reitet bitte nicht zu weit weg«, mahnt Mrs Fletcher
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