Cryptonomicon
zweihundertfünfzig wiegt. Das Leben in einer Militärküche macht es einem nicht leicht, sein Gewicht unten oder (Pech für Hott) sein kardiovaskuläres System in halbwegs verlässlichem, betriebsfähigem Zustand zu halten.
Hott und seine Uniform waren beide trocken, als es zu dem Herzanfall kam, sodass der Stoff Gott sei Dank nicht an der Haut festgefroren ist. Shaftoe kann ihn mit mehreren langen Schnitten seines äußerst scharf geschliffenen V-44-»Gung Ho«-Messers größtenteils abschneiden. Für den Nahkampf jedoch – d.h. zum Entblößen von Achselhöhlen und Unterleib – ist die fünfundzwanzig Zentimeter lange, macheteähnliche Klinge des V-44 vollkommen ungeeignet, und da man ihm außerdem eingeschärft hat, ja keine Kratzer zu verursachen, muss er nun auf das USMC-Marine-Raider-Stilett zurückgreifen, dessen schlanke, zweischneidige, achtzehn Zentimeter lange Klinge genau für eine solche Prozedur hätte konstruiert worden sein können, obwohl der fischförmige Knauf, der aus solidem Metall besteht, nach einer Weile an Shaftoes verschwitzter Handfläche festzufrieren beginnt.
Lieutenant Ethridge drückt sich vor der grabmalhaften Tür des Kühlraums herum. Shaftoe stürmt an ihm vorbei, strebt geradewegs dem Ausgang des Gebäudes zu und ignoriert Ethridges drängendes »Shaftoe? Was ist denn nun?«
Er bleibt erst stehen, als er aus dem Schatten des Gebäudes herausgetreten ist. Der nordafrikanische Sonnenschein ergießt sich über seinen Körper wie ein Waschzuber voll Morphium. Er schließt die Augen und wendet ihm das Gesicht zu, hält die erfrorenen Hände hoch, um die Wärme aufzufangen, sie sich über die Unterarme rieseln und von den Ellenbogen tropfen zu lassen.
»Was ist denn nun?«, wiederholt Ethridge.
Shaftoe macht die Augen auf und sieht sich um.
Der Hafen ist ein blauer Halbmond, auf dem sich, wie Diagramme von Tanzschritten, sonnengedörrte Landestege umeinander schlängeln. Einer davon trägt die verwitterten Stümpfe einer alten Befestigung und daneben liegt halb versunken ein französisches Schlachtschiff, das immer noch Rauch und Dampf in die Luft bläst. Überall in der Runde löschen die Schiffe von Operation Torch rascher Ladung, als man es für möglich hält. Aus den Luken der Transporter heben sich Ladenetze und platschen auf die Kais wie riesige Rotzklumpen. Schauerleute schleppen, Lastwagen transportieren, Truppen marschieren, junge Französinnen rauchen Yankee-Zigaretten, Algerier schlagen gemeinsame Unternehmen vor.
Zwischen den Schiffen und der Großfleischerei der Army hier oben auf dem Felsen liegt, was Bobby Shaftoe für die Stadt Algier hält. Seinem kritischen Auge kommt es so vor, als wäre die Stadt weniger erbaut als vielmehr von einer Flutwelle den Hang hinaufgespült worden. Eine Menge Fläche ist dafür draufgegangen, die Scheißsonne abzuhalten, sodass die Stadt von oben wie dichtgemacht wirkt – viel rote Ziegel, verziert mit Blumen und Arabern. Sieht aus, als hätten die Franzosen im Gefolge einer energischen Slumbeseitigungs-Offensive ein paar moderne Betonbauten (z.B. dieses Kühlhaus) hochgezogen. Trotzdem bleiben noch eine Menge Slums zu beseitigen – Ziel Nummer eins ist der menschliche Bienenstock oder Ameisenhaufen gleich links von Shaftoe: die Kasbah nennen sie’s. Vielleicht ist es ein Stadtviertel. Vielleicht auch nur ein einziges, ungeschickt aufgeteiltes Gebäude. Nicht zu glauben, wenn man es nicht selbst gesehen hat. Mit Arabern voll gestopft wie eine Telefonzelle bei einer Juxwette unter Studenten.
Shaftoe dreht sich um und betrachtet erneut das Kühlhaus, das hier ungeschützt einem feindlichen Luftangriff ausgesetzt wäre, aber das kümmert kein Schwein, denn wen interessiert es schon, ob die Krauts einen Haufen Fleisch in die Luft jagen?
Lieutenant Ethridge, der einen fast ebenso fürchterlichen Sonnenbrand hat wie Shaftoe, blinzelt.
»Blond«, sagt Shaftoe.
»Okay.«
»Blauäugig.«
»Gut.«
»Ameisenbär – nicht Pilz.«
»Was?«
»Er ist nicht beschnitten, Sir.«
»Ausgezeichnet! Und wie sieht’s mit der anderen Sache aus?«
»Eine Tätowierung, Sir!«
Shaftoe genießt die langsame Steigerung der Spannung in Ethridges Stimme: »Beschreiben Sie die Tätowierung, Sergeant!«
»Sir! Es handelt sich um ein sehr verbreitetes militärisches Motiv, Sir! Bestehend aus einem Herzen mit einem Frauennamen darin.«
»Wie lautet der Name, Sergeant?« Ethridge ist kurz davor, sich in die Hose zu machen.
»Sir! Der in der
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