Cryptonomicon
die paar anderen auf der Ultra-Mega-Liste verfügen zwar über den gleichen Zugang, haben jedoch andere Sorgen und Obliegenheiten. Sie können nicht in der Datenfluss-Kapitale des Planeten herumspazieren, Übersetzern über die Schulter schauen und die entschlüsselten Nachrichten lesen, noch während sie, klickedi-klickedi-klack, aus den Typex-Maschinen kommen. Sie können nicht nach Lust und Laune einzelne Fäden des globalen Textes verfolgen, von Baracke zu Baracke laufen und Verbindungen herstellen, während die WRENS in Baracke 11 Steckerleitungen von einer Bomben-Buchse zur anderen legen und so ein Netz wirken, mit dem Hitlers durch den Äther sausende Botschaften eingefangen werden.
Hier einiges, was Waterhouse weiß: Die Schlacht von El Alamein ist gewonnen, Montgomery jagt Rommel mit offenbar halsbrecherischer Geschwindigkeit nach Westen über die Cyrenaika und treibt ihn auf Tunis, den fernen Stützpunkt der Achsenmächte, zu. Das Ganze ist allerdings nicht die Schlappe für Rommel, nach der es aussieht. Wenn Monty nur die Bedeutung der Nachrichten kapierte, die über den Ultra-Kanal eingehen, könnte er entscheidend manövrieren und größere deutsche und italienische Truppenkontingente einschließen und gefangen nehmen. Aber das ist nicht der Fall und so inszeniert Rommel einen geordneten Rückzug und schickt sich an, einen weiteren Tag zu kämpfen, und in den Beobachtungsräumen von Bletchley Park wird Monty mit seiner Schwerfälligkeit kräftig verflucht, weil er nicht imstande ist, die unschätzbaren, aber verderblichen Nachrichtenjuwelen richtig auszunutzen.
Nordwestafrika war soeben Ziel der größten Landeoperation der Geschichte. Sie heißt Operation Torch: Die Landungskräfte sollen Rommel von hinten angreifen, als Amboss für Montgomerys Hammer dienen oder, wenn Monty nicht ein bisschen Tempo zulegt, vielleicht auch umgekehrt. Die Sache sieht hervorragend organisiert aus, ist es in Wirklichkeit aber nicht; Amerika stößt zum ersten Mal ernsthaft über den Atlantik vor und so wird auf den Schiffen ein ganzer Grabbelsack voll Zeug mitgenommen – darunter auch jede Menge Fernmelde-Nachrichtendienstler, die theatralisch auf die Strände stürmen, als wären sie Marines. An der Landeoperation nimmt auch das amerikanische Kontingent von Abteilung 2702 teil – eine handverlesene Bergungsmannschaft von schlachterprobten Ledernacken.
Einige dieser Marines haben das, was sie wissen, auf Guadalcanal gelernt, einer im Grunde nutzlosen Insel im Südwest-Pazifik, wo sich das Japanische Kaiserreich und die Vereinigten Staaten gegenseitig – mit Gewehren – das Recht streitig machen, einen Luftwaffenstützpunkt zu bauen. Erste Berichte lassen darauf schließen, dass die japanische Armee im Laufe ihrer ausgedehnten Tour durch Ostasien ihren Biss verloren hat. Wie es scheint, lässt sich die Vergewaltigung der gesamten weiblichen Bevölkerung von Nanking und das Abstechen hilfloser philippinischer Dorfbewohner nicht unbedingt in militärische Kompetenz umsetzen. Die japanische Armee versucht immer noch, dahinter zu kommen, wie sie, sagen wir hundert amerikanische Marines töten kann, ohne dabei fünfhundert eigene Soldaten zu verlieren.
Die japanische Marine ist ein ganz anderer Fall – dort kennt man sich aus. Man hat Yamamoto. Man verfügt über Torpedos, die tatsächlich explodieren, wenn sie ihr Ziel treffen, in deutlichem Gegensatz zu den amerikanischen Modellen, die nichts anderes tun, als den Anstrich der japanischen Schiffe anzukratzen und dann mit Bedauern unterzugehen. Yamamoto hat soeben einen weiteren Versuch unternommen, die amerikanische Flotte vor den Santa-Cruz-Inseln zu vernichten, und dabei die Hornet versenkt und ein schönes Loch in die Enterprise gemacht. Aber er hat ein Drittel seiner Flugzeuge verloren. Angesichts der Verluste, die die Japaner einstecken müssen, fragt sich Waterhouse, ob sich irgendwer in Tokio einmal die Mühe gemacht hat, den Abakus herauszuholen und sich die Zahlen für dieses Zweiter-Weltkrieg-Ding vorzunehmen.
Die Alliierten stellen ihrerseits Berechnungen an und machen sich vor Angst in die Hosen. Mittlerweile befinden sich im Atlantik 100 deutsche Unterseeboote, die größtenteils von Lorient und Bordeaux aus operieren, und sie machen den Geleitzügen mit einer derartigen Effizienz den Garaus, dass man gar nicht mehr von Gefecht, sondern nur noch von einer Schlachtorgie lusitanischen Ausmaßes sprechen kann. Bei dem Tempo, das sie vorlegen, werden sie
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