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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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hatte viel über die Entwicklung des Gehirns gelesen und meine Strumpfmacke endlich akzeptiert. Wie es scheint, verfestigen sich in einem bestimmten Alter, irgendwann zwischen dem zweiten und fünften Lebensjahr, die Strukturen unseres Gehirns. Der Teil, der für den Sex zuständig ist, nimmt ein bestimmtes Muster an, das man dann für den Rest seines Lebens mit sich herumträgt. Alle Schwulen, mit denen ich je darüber gesprochen habe, haben mir erzählt, dass sie bereits Jahre, bevor sie zum ersten Mal auch nur an Sex dachten, wussten, dass sie schwul oder zumindest anders waren, und alle sind übereinstimmend der Meinung, dass Schwulsein sich bei aller Anstrengung nicht in Normalsein verwandeln lässt.
    In diesem Alter entstehen zwischen dem Teil des Gehirns, der die Sexualität steuert, und anderen, scheinbar irrelevanten Bereichen oft Querverdrahtungen. Dann entwickeln Leute einen Hang zu sexueller Dominanz oder Unterwerfung und viele entdecken in dieser Zeit ganz spezielle Neigungen – sagen wir zu Gummi, Federn oder Schuhen. Manche haben das Pech, von Kindern sexuell erregt zu werden, und diese Typen sind im Prinzip verloren – es gibt keine andere Möglichkeit, als sie zu kastrieren oder wegzusperren. Keine Therapie kann eine solche Veranlagung aus dem Gehirn löschen, wenn sie sich erst einmal dort eingebrannt hat.
    Alles in allem hatte ich also mit meiner Neigung zu schwarzen Nylonstrümpfen gar keine so schlechte sexuelle Karte gezogen. Während unserer Heimreise setzte ich Virginia das alles auseinander. Und war überrascht, wie ruhig sie es hinnahm. Dabei war ich einfach zu blöd zu merken, dass sie darüber nachdachte, wie das alles zu ihr passte.
    Nach unserer Rückkehr zog sie mutig los, kaufte Strümpfe und versuchte, sie gelegentlich zu tragen. Das war nicht einfach. Nylonstrümpfe sind mit einem ganzen Lebensstil verbunden. Mit Jeans und Turnschuhen sehen sie dämlich aus. Eine Frau in Nylonstrümpfen muss ein Kleid oder einen Rock tragen, aber nicht einfach einen blauen Jeansrock, sondern etwas Hübscheres, Formelleres. Dazu muss sie genau die Art Schuhe anziehen, die Virginia nicht besaß und nicht gerne trug. Nylonstrümpfe passen im Grunde nicht zu einer Frau, die mit dem Fahrrad zur Arbeit fährt. Ja, eigentlich passten sie nicht einmal zu unserem Haus. Im Laufe unserer bescheidenen Jungakademikerjahre hatten sich bei uns jede Menge Möbel angesammelt, die aus Goodwill-Geschäften stammten oder von mir aus kleinen Latten zusammengezimmert worden waren. Wie sich herausstellte, starrten diese Möbel von winzigen Splittern, die man in Jeans gar nicht bemerkte, die Nylonstrümpfen jedoch im Handumdrehen den Garaus machten. Wenn wir andererseits zu unserem Hochzeitstag eine Reise nach London machten, dort in schwarzen Taxis umherfuhren, in einem schönen Hotel wohnten und in guten Restaurants aßen, bewegten wir uns eine ganze Woche lang in einer Welt, die durch und durch auf Nylonstrümpfe eingestellt war. Daran konnten wir sehen, wie radikal wir unsere Lebensumstände würden ändern müssen, damit sie sich routinemäßig so anziehen konnte. In einer Aufwallung guter Absichten wurde also viel Geld in Strümpfe gesteckt.
    Es fand auch ein paar Mal guter Sex statt, allerdings schien es mir mehr Spaß zu machen als Virginia. Sie erreichte nie mehr dieselbe schockierende, animalische Intensität wie nach der Beerdigung in Grannys Haus. Durch Verschleiß reduzierte sich ihr Strumpfvorrat sehr schnell, reine Bequemlichkeit hinderte sie daran, ihn zu erneuern, und nach Ablauf eines Jahres waren wir wieder da, wo wir angefangen hatten. Dennoch änderte sich manches. Durch den Verkauf einiger Aktien verdiente ich eine Menge Geld und wir kauften uns ein Haus oben in den Bergen. Wir bestellten eine Umzugsfirma, die unser ganzes Studentenmobiliar einlud und in dieses Haus brachte, wo es noch viel schäbiger aussah. Virginias neue Arbeit zwang sie dazu, ihre Wege im Auto zurückzulegen. Unsere alte Rostlaube erschien mir nicht mehr sicher genug, und so kaufte ich ihr einen hübschen kleinen Lexus mit Ledersitzen und Wollteppich, alles schön glatt. Bald kamen Kinder und ich tauschte meinen alten »Beater«-Pickup gegen einen Minivan.
    Trotz allem brachte ich es nicht über mich, Geld für Möbel auszugeben, bis mein Rücken anfing, mir Probleme zu machen und ich feststellte, dass es an der durchhängenden, zwanzig Jahre alten Goodwill-Matratze lag, auf der Virginia und ich schliefen. Wir mussten ein neues

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