Cryptonomicon
σ-Management-Schema funktioniert nicht mehr. Und eine platonische Beziehung macht F MSN nur schlimmer, nicht besser. Sein Leben, das aus einer simplen Gruppe im wesentlichen linearer Gleichungen bestanden hat, ist zu einer Differential gleichung geworden.
Klar wird ihm das durch den Bordellbesuch. Bei der Navy ist der Besuch eines Bordells ungefähr so umstritten wie das Pinkeln durch die Speigatten auf hoher See – das Schlimmste, was man darüber sagen kann, ist, dass es unter anderen Umständen vielleicht ordinär erscheinen könnte. Und so hat es Waterhouse jahrelang getan, ohne dass es ihn im Geringsten belastet hätte.
Doch während und nach seinem ersten Bordellbesuch nach Mary Smith verabscheut er sich selbst. Er sieht sich nicht mehr mit seinen, sondern mit ihren Augen – und, im weiteren Sinne, denen ihres Cousins Rod, Mrs. McTeagues und der ganzen Gesellschaft anständiger, gottesfürchtiger Leute, denen er bis jetzt nie die geringste Aufmerksamkeit geschenkt hat.
Wie es scheint, ist der Einbruch von F MSN in seine Glücksgleichung bloß der Anfang einer Entwicklung, die Waterhouse einer Vielzahl unbeherrschbarer Faktoren ausliefert und von ihm fordert, dass er sich mit der normalen menschlichen Gesellschaft auseinander setzt. Entsetzlicherweise schickt er sich nun sogar an, eine Tanzveranstaltung zu besuchen.
Die Tanzveranstaltung wird von einer australischen Freiwilligenorganisation ausgerichtet – die Einzelheiten kennt er nicht und sie sind ihm auch egal. Mrs. McTeague ist offenbar der Ansicht, dass die Miete, die sie von ihren Gästen kassiert, sie verpflichtet, diese nicht nur zu beherbergen und zu beköstigen, sondern auch Ehefrauen für sie zu finden, weshalb sie sie bedrängt, unbedingt hinzugehen, und das nach Möglichkeit in Begleitung. Rod bringt sie schließlich dadurch zum Schweigen, dass er verkündet, er werde mit einer größeren Gruppe, darunter auch Mary, seine Cousine vom Lande, hingehen. Rod ist ungefähr zwei Meter vierzig groß und wird daher auf einer überfüllten Tanzfläche leicht auszumachen sein. Mit etwas Glück wird sich die zierliche Mary in seiner Nähe befinden.
Und so geht Waterhouse zu der Tanzveranstaltung und durchstöbert sein Gedächtnis nach Eröffnungssätzen, die er bei Mary anbringen könnte. Er kommt auf mehrere Möglichkeiten:
»Wissen Sie eigentlich, dass die japanische Industrie nur vierzig Bulldozer pro Jahr produzieren kann?« Unmittelbar gefolgt von: »Kein Wunder, dass sie beim Bau ihrer Befestigungen Zwangsarbeiter einsetzen!«
Oder: »Aufgrund konstruktionsbedingter Beschränkungen der Antennenkonfiguration haben japanische Marineradarsysteme hinten einen blinden Fleck – man greift also immer genau von achtern an.«
Oder: »Die weniger wichtigen, niederrangigen Codes der japanischen Armee sind schwerer zu knacken als die wichtigen, hochrangigen! Ist das nicht komisch?«
Oder: »Sie kommen also aus dem Outback... dosen sie eigentlich viele Nahrungsmittel ein? Es interessiert Sie vielleicht, dass ein enger Verwandter des Bakteriums, das dafür sorgt, dass Dosensuppe verdirbt, Gasbrand hervorruft.«
Oder: »Japanische Schlachtschiffe fliegen in letzter Zeit von selbst in die Luft, weil die Granaten in ihren Magazinen mit der Zeit chemisch instabil werden.«
Oder: »Dr. Turing aus Cambridge behauptet, die Seele sei eine Illusion und alles, was uns als Menschen definiere, lasse sich auf eine Reihe mechanischer Operationen reduzieren.«
Und noch viel mehr in derselben Art. Bis jetzt ist ihm noch nichts eingefallen, was sie unter Garantie vom Hocker reißen wird. Er hat, ehrlich gesagt, nicht die leiseste Ahnung, was er eigentlich machen soll. Und so war es immer mit Waterhouse und den Frauen, weshalb er auch nie so richtig eine Freundin gehabt hat.
Aber das hier ist etwas anderes. Das hier ist die nackte Verzweiflung.
Was gibt es über die Tanzveranstaltung zu sagen? Großer Saal. Männer in Uniformen, größtenteils flotter, als es ihnen zusteht. Größtenteils flotter als Waterhouse, um ehrlich zu sein. Frauen in schicken Kleidern, mit schicken Frisuren. Lippenstift, Perlen, eine Bigband, weiße Handschuhe, Keilereien, ein bisschen Geknutsche und ein kleines bisschen Gekotze. Waterhouse kommt spät – das Transportproblem, wieder mal. Sämtliches Benzin wird dafür verwendet, riesige Bomber durch die Atmosphäre zu schleudern, damit man Sprengkörper auf die Nips regnen lassen kann. Den Fleischklumpen namens Waterhouse durch Brisbane zu
Weitere Kostenlose Bücher