Crystall (German Edition)
über den Rand hinab spähen können. Am Fuße der Neigung regierte eine bereits niedergetrampelte Graslandschaft, durchzogen von einem schmalen Bach, der jetzt im Dämmerlicht grau und unbedeutend wirkte. Aber jenseits des Gewässers wartete die eigentliche Überraschung.
Das Lager der schwarzen Armee.
Die Größe und provisorische Aufstellung ließ darauf schließen, dass auch diese Teufelsbrut auf der Reise war und Zwischenstation machte. Irgendwelche Nahrungsquellen besaßen sie nicht, lediglich einige, fast erloschene Feuer brannten noch hier und da. Alles andere beschränkte sich auf notdürftig errichtete Zeltbehausungen, natürlich in schwarz verkleidet, in beachtlich und erschreckend großer Zahl. Schon die Vielfalt der rastenden und angebundenen Pferdeschar ließ auf einen überlegenen Feind schließen. Das Lager war quaderförmig angerichtet und besaß einen Durchmesser von mindestens hundert Metern, vielleicht mehr, vielleicht auch weniger. Allerdings blieb es auch nur ein Rastlager und keine uneinnehmbare Festung. Sehr wenige schwarze Krieger liefen umher, auf großartige Wachsamkeit legten die anscheinend keinen Wert. Alles in allem wirkte es ausgestorben. Würde es sich bei dem Heer nicht um marionettenähnliche Wesen handeln, hätte man meinen können, die würden alle noch schlafen. Das täuschte natürlich. Dennoch war das Verhalten äußerst merkwürdig, solche Kreaturen hatten es doch wohl kaum nötig, sich in Zelten auszuruhen. Womöglich lauerten sie auf irgendetwas.
Nawarhons Truppe verhielt sich unglaublich leise. Die wenigen Gespräche, die trotzdem zustande kamen, wurden beinahe murmelnd geführt, obwohl das gar nicht nötig gewesen wäre. Zudem schien sie unten im Tal niemand zu bemerken, wo der Schutz der Bäume rings um sie nur noch sehr spärlich war. Oder aber die Bestien hielten es gar nicht für nötig, wegen ihnen einen Aufstand anzuzetteln. Sie sahen keinen Gegner in ihnen.
Nawarhon schien auf ähnlicher Ebene zu denken, denn er verzog für einen Moment ärgerlich das Gesicht. Natürlich schwieg er und starrte weiterhin grübelnd den Hang hinab. In ihm brodelte ein Feuer und Mandy war der festen Überzeugung, dass er nur mühselig seinen Zorn zurück drängte. Am liebsten wäre er in das Lager gestürmt und hätte die Armee überrannt, wenn nötig auch alleine.
Gegen Nawarhons eigentlichen Willen ritt Mandy neben ihm an vorderster Front und sah nun natürlich alles mit grausamer Klarheit. Sie konnte den Prinz sehr gut verstehen, nach dem gestrigen Ereignis spürte auch sie einen unbändigen Hass auf diese Monster da unten.
Unfreiwillig glitten ihre Gedanken zurück und machten sie betrübt. Sie hatte schon einmal den grausamen Ausgang eines verlorenen Krieges erlebt und gesehen, aber gestern musste sie das Ergebnis eines Gemetzels ertragen, anders konnte sie es einfach nicht ausdrücken. Als Nawarhon in ihren Wagen gekommen war und berichtete, dass ein Dorf in Mindor brennen würde, hatte das noch harmlos geklungen. Diese Meinung sollte sich dann schlagartig ändern. Natürlich waren sie in den zerstörten Ort gefahren und niemand innerhalb der Karawane hatte sein Entsetzen leugnen können. Um es mal deutlich zu machen, wären sie in jenem Moment in einen Hinterhalt geraten – wie stark oder schwach der Gegner auch gewesen sein mochte – sie wären ihm chancenlos ausgeliefert. Mandy hatte in die Gesichter der anderen geblickt. Selbst Nawarhon, Lyhma und die anderen Krieger unter ihnen, die Mandy eigentlich für abgebrüht gehalten hatte, waren geschockt angesichts des Schlachtbildes vor ihnen. Die meisten der anderen Leute, vorwiegend die Frauen, blieben gleich in ihren Gespannen sitzen und unterzogen sich gar nicht erst der harten Prüfung. Es war besser gewesen, denn von einem Gemetzel zu hören, war eine Sache, es zu sehen, eine andere. Gegen den ausdrücklichen Wunsch des Prinzen war auch Mandy im Dorf abgestiegen. Er hatte es seit dem Auftritt mit Sator aufgegeben, ihr irgendwelche Befehle klar zu machen. Allerdings war Mandy auch nicht überall gewesen, trotz allem war sie doch nur ein Mädchen, das vom Töten nichts wissen wollte und eigentlich auch sollte. Aber was sie gesehen hatte, genügte ihr, um sich auszumalen, welche Schlechter die Bande der schwarzen Krieger waren. Mandy hatte das Leid erlebt und gefühlt. Letztlich war niemand in dem Dorf am Leben geblieben, leblose Körper lagen verstreut auf den Straßen, viele davon waren regelrecht verstümmelt worden,
Weitere Kostenlose Bücher