Cujo
Geist der Sünde oder gar die Reinkarnation Elvis Presleys, dann glaub es doch. In dieser so seltsam im Maßstab verkleinerten Situation - einer Situation, in der es um Leben und Tod ging - wurde sogar die Verrichtung der Notdurft zu einem Scharmützel.
Wir werden hier herauskommen Kein Hund wird das meinem Sohn antun.
»Wann, Mommy?« Mit tränenfeuchten Augen sah er sie an. Sein Gesicht war kalkweiß.
»Bald«, sagte sie entschlossen. »Sehr bald.« Sie strich sein Haar zurück und drückte ihn an sich. Sie schaute durch das Fenster an Tads Seite, und wieder fiel ihr Blick auf das Ding, das dort im hohen Gras lag, auf den alten, mit Isolierband reparierten Baseballschläger.
Ich möchte dir den Schädel damit einschlagen.
Im Haus klingelte das Telefon.
Voll Hoffnung riß sie den Kopf herum.
»Ist das für uns? Ist das Telefon für uns, Mommy?«
Sie antwortete nicht. Sie wußte nicht, für wen es war. Aber wenn sie Glück hatten - und das Blatt mußte sich doch bald wenden, nicht wahr? - rief jemand an, den es mißtrauisch machte, daß bei den Cambers niemand den Hörer abnahm, und der kommen würde, um festzustellen, warum.
Cujo hob den Kopf. Er hielt ihn schräg, und in diesem Augenblick hatte er eine verrückte Ähnlichkeit mit Nipper, dem Hund der RCA, der das Ohr vor den Grammophontrichter hält. Zitternd stand er auf und lief auf das Haus zu, dem Klingeln des Telefons entgegen.
»Vielleicht geht der Hund ans Telefon«, sagte Tad. »Vielleicht …«
Erschreckend schnell und gewandt änderte der große Hund die Richtung und rannte auf den Wagen zu. Er taumelte nicht mehr unbeholfen. Als sei das Ganze nur geschickte Verstellung gewesen. Er bellte nicht, er brüllte. Seine roten Augen glühten. Mit einem harten dumpfen Aufprall traf er den Wagen und sank zurück - die Augen blickten betäubt. Er ist tot, dachte sie hysterisch, ertnuß sich sein krankes Gehirn verletzt, sich das Genick gebrochen haben, er muß er muß er MUSS -
Cujo stand auf. Seine Schnauze blutete. Er ließ seine leeren Blicke schweifen. Im Haus klingelte das Telefon immer noch. Der Hund schien weglaufen zu wollen und schnappte plötzlich wild nach seiner eigenen Flanke, als habe ihn etwas gestochen. Dann fuhr er herum und sprang gegen Donnas Fenster. Mit einem entsetzlichen dumpfen Geräusch prallte er auf, direkt vor Donnas Gesicht. Blut spritzte über das Glas, und ein langer silbriger Sprung entstand. Tad schrie auf und riß die Hände vors Gesicht. Er zerkratzte sich mit den Fingernägeln die Wangen.
Wieder machte der Hund einen Satz. Schaum lief aus der blutenden Schnauze. Sie sah seine Zähne, groß und gelb und bedrohlich. Seine Pfoten klatschten auf das Glas. Aus einer Wunde zwischen seinen Augen strömte Blut. Er sah sie an, mit einem trüben, stumpfen Blick, aber - das hätte sie beschwören können - es war ein wissender Blick. Er verriet irgendein unheilvolles Wissen.
»Raus hier!« kreischte sie.
Unter ihrem Fenster warf Cujo sich gegen den Wagen. Und noch einmal. Und noch einmal. Die Tür war schon stark nach innen gebeult. Immer wenn die zweihundert Pfund des Hundes auf den Wagen trafen, wiegte er sich auf den Federn. Jedesmal hörte sie den schweren Aufprall, und jedesmal glaubte sie, daß er tot sein müsse, wenigstens bewußtlos. Und jedesmal lief er in Richtung auf das Haus davon, wirbelte herum und griff erneut an. Cujos Gesicht war eine Maske von Blut und zottigem Fell, aus dem seine Augen, früher freundlich und sanft und braun, in dumpfer Wut hervorglotzten.
Sie schaute zu Tad hinüber und sah seine Reaktion auf den Schock. Wie ein Fötus hatte er sich auf seinem Sitz zusammengekrümmt, die Hände um den Nacken verschränkt, und er atmete stoßweise.
Vielleicht ist es das beste. Vielleicht -
Das Telefon im Haus hörte auf zu klingeln. Cujo, der gerade erneut angreifen wollte, blieb stehen. Wieder hielt er den Kopf schief. Eine seltsam beschwörende Geste. Donna hielt den Atem an. Die Stille war unerträglich. Cujo setzte sich hin, hob seine gräßlich verstümmelte Schnauze in die Luft und stieß ein langgezogenes Heulen aus - es war ein so dunkler und einsamer Laut, daß sie zitterte. Ihr war nicht länger heiß, sie fühlte sich so kalt wie in einer Gruft. In diesem Augenblick wußte sie - sie fühlte oder dachte es nicht nur - sie wußte, daß der Hund mehr war als nur ein Hund.
Dieser Augenblick ging vorüber. Langsam und müde stand Cujo wieder auf und ging vorn an den Wagen. Sie nahm an, daß er
Weitere Kostenlose Bücher