Cujo
Sharp-Aktien waren um neun Punkte gefallen und nur um viereinviertel Punkte wieder gestiegen. Die Aktionäre würden Köpfe fordern. Wir wollen sehen … wessen Kopf soll es sein? Wer hatte denn die schlaue Idee mit dem Cornflake-Professor gehabt? Boten die Kerle sich nicht geradezu an? Ohne Rücksicht darauf, daß der Professor schon vier Jahre vor dem Debakel mit den Himbeerflakes eingesetzt worden war. Ohne Rücksicht auf die Tatsache, daß die Aktien, als der Professor (mitsamt dem Scharfschützen und George und Grade) die Szene betrat, um dreieinhalb Punkte schlechter standen als heute.
Das spielte alles keine Rolle. Wohl aber dies: Allein die Tatsache, daß Ad Worx den Sharp-Etat verloren hatte - allein das würde die Aktien wahrscheinlich um weitere anderthalb Punkte steigen lassen. Und wenn dann eine neue Werbekampagne anlief, würde das für die Aktionäre ein Zeichen sein, daß die Gesellschaft ihre Schwierigkeiten überwunden hatte, und die Aktien würden vielleicht um einen weiteren Punkt steigen.
Natürlich, dacht Vic und rührte den Süßstoff in seinem Kaffee um, war das nur Theorie. Und selbst wenn diese Theorie sich als richtig erweisen sollte, würde ein kurzfristiger Gewinn leicht zunichte gemacht durch eine in aller Eile zusammengestoppelte Werbekampagne von Leuten, die weder die Sharp
Company noch den Markt für Getreideprodukte auch nur annähernd so gut kannten wie Vic und Roger. Davon war er überzeugt.
Und plötzlich war der Einfall da. Er karh ganz unerwartet. Vic stellte die Tasse wieder hin, die er gerade zum Mund führen wollte, und riß die Augen auf. In Gedanken sah er zwei Männer - es waren vielleicht er und Roger, oder der alte Sharp und sein alternder Sohn -, die ein Grab zuschaufelten. Die Spaten flogen nur so. Unruhig flackerte eine Laterne in der stürmischen Nacht. Es regnete. Die beiden Totengräber sahen sich immer wieder verstohlen um. Es war ein nächtliches Begräbnis, eine geheime Handlung im Schütze der Dunkelheit. Sie begruben den Cornflake-Professor heimlich, und das war verkehrt.
»Verkehrt«, sagte er laut.
Es war bestimmt verkehrt. Denn wenn sie ihn in finsterer Nacht heimlich begruben, konnte er nicht mehr sagen, was er sagen mußte: daß er die Angelegenheit bedaure.
Er nahm den Filzstift aus der Innentasche seines Jacketts und legte eine Serviette vor sich hin. Er schrieb:
Der Gornflake-Professor muß sich entschuldigen.
Er schaute auf das Geschriebene. Auf der Serviette liefen die Buchstaben auseinander. Dem ersten Satz fugte er hinzu:
Ein anständiges Begräbnis.
Und darunter:
Ein Begräbnis bei TAGESLIGHT.
Das ergab noch keinen rechten Sinn. Es war eher eine Metapher. Aber in Form von Metaphern kamen ihm seine besten Einfälle. Er hatte jetzt etwas in der Hand. Das stand fest.
Cujo lag im Halbdunkel der Werkstatt auf dem Fußboden. Es war heiß, aber draußen war es noch schlimmer … und die Sonne schien zu grell. Das war vorher nie so gewesen. Er hatte früher nicht einmal bemerkt, wie hell es jeweils war. Aber jetzt fiel es ihm auf. Cujo hatte Kopfschmerzen. Seine Muskeln taten weh. Seine Augen schmerzten von dem Licht. Und die vernarbte, Wunde an seinem Maul schmerzte.
Sie schmerzte und eiterte.
Der MANN war verschwunden. Kurz nachdem er weggefahren war, verschwanden auch die FRAU und der JUNGE. Der JUNGE hatte einen großen Napf voll Hundefutter für Cujo hingestellt, aber Cujo hatte nur sehr wenig davon gefressen. Wenn er fraß, fühlte er sich schlechter statt besser, und er ließ den Rest liegen.
Er hörte das Motorengeräusch eines Lastwagens, der in die Auffahrt einbog. Cujo stand auf und ging an die Tür. Er wußte gleich, daß es ein Fremder war. Er konnte die Geräusche der Fahrzeuge unterscheiden, und es war nicht der Lieferwagen des MANNES und auch nicht der Wagen der FRAU. Der Lastwagen fuhr rückwärts die Auffahrt hoch und blieb stehen. Zwei Männer sprangen aus dem Fahrerhaus und gingen nach hinten. Einer von ihnen öffnete die hintere Schiebetür. Das rasselnde Geräusch drang Cujo unangenehm in die Ohren. Er jaulte und zog sich in den schützenden Schatten zurück.
Der Lastwagen kam von Portland Machine. Vor drei Stunden waren Charity Camber und ihr immer noch verblüffter Sohn in das Hauptbüro der Firma in der Bridgton Avenue gegangen, und sie hatte einen Scheck für einen neuen Jörgen-Deckenkran ausgeschrieben - der Großhandelspreis belief sich auf genau eintausendzweihunderteinundvierzig Dollar und einundsiebzig
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