Cujo
Stimme. Es war der JUNGE, der JUNGE, und der JUNGE hatte ihm nie etwas getan. Er hatte den JUNGEN einmal geliebt, und er wäre für ihn gestorben, wenn man es von ihm verlangt hätte. Von diesem Gefühl war noch genug übrig, um die Mordvorstellungen zurückzudrängen, bis sie auseinanderliefen wie der Nebel um sie herum. Sie verschwanden, und Cujo empfand nur noch den Schmerz seiner Krankheit.
»Cujo? Was ist denn mit dir, Junge?«
Der Hund, der er gewesen war› bevor die Fledermaus ihn verletzte, wandte sich ab, und der kranke, gefährliche Hund mußte sich mit ihm abwenden. Wandte sich ein letztes Mal ab. Cujo stolperte davon, tiefer in den Nebel hinein. Aus seinem Maul spritzte Schaum in den Sand. Er verfiel in einen unbeholfenen Trott, versuchte, der Krankheit davonzulaufen, aber sie lief mit und quälte ihn, und sein ganzer Körper schmerzte vor Haß und Mordlust. Er wälzte sich im hohen Gras, schnappte danach und rollte mit den Augen.
Die Welt war ein Meer von verrückten Gerüchen. Er würde jeden bis zu seiner Quelle verfolgen und zerreißen.
Cujo fing wieder an zu knurren. Er sprang auf die Füße. Er glitt tiefer in den Nebel hinein, der sich allmählich lichtete, ein großer Hund, der fast zweihundert Pfund wog.
Nachdem Cujo im Nebel verschwunden war, blieb Brett länger als fünfzehn Minuten auf dem Hof stehen und wußte nicht, was er tun sollte. Cujo war krank. Vielleicht hatte er einen ‘ vergifteten Köder gefressen. Brett wußte, was Tollwut ist, und wenn er ein Murmeltier oder einen Fuchs oder ein Stachelschwein mit den gleichen Symptomen gesehen hätte, wäre es ihm sofort eingefallen. Aber es kam ihm nicht einmal in den Sinn, daß sein Hund diese entsetzliche Krankheit des Gehirns und des Nervensystems haben könnte. Ein vergifteter Köder, das war noch das Wahrscheinlichste.
Er müßte es seinem Vater sagen. Sein Vater könnte einen Tierarzt-rufen. Oder vielleicht könnte sein Vater selbst etwas unternehmen, wie vor zwei Jahren, als er Cujo mit der Zange die Staqheln eines Stachelschweins aus dem Maul gezogen hatte, wobei er wegen der Widerhaken sehr vorsichtig gearbeitet hatte, damit sie nicht abbrachen und Entzündungen verursachten. Ja, er würde es Daddy sagen. Daddy würde schon Rat wissen, wie damals, als Cujo sich mit dem Stachelschwein eingelassen hatte.
Aber was wurde dann aus der Reise?
Man mußte ihm nicht erst sagen, daß seine Mutter diese Reise nur mit verzweifelten Tricks durchgesetzt hatte. Oder mit Glück. Oder mit einer Kombination aus beidem. Wie die meisten Kinder empfand er die Spannungen zwischen seinen Eltern, und er wußte, wie sich die Stimmung jeden Tag änderte. Es hatte auf der Kippe gestanden, und wenn sein Vater auch zugestimmt hatte, es war gewiß nur widerwillig geschehen. Sicher war die Reise erst, wenn er sie am BusTerminal abgesetzt hatte und wieder weggefahren war. Wenn er Daddy erzählte, daß Cujo krank sei, würde er das nicht zum Vorwand nehmen, sie zu Hause zu behalten?
Reglos stand er im Hof. Zum ersten Mal in seinem Leben befand er sich in totaler geistiger und seelischer Verwirrung. Nach einiger Zeit versuchte er, Cujo hinter der Scheune aufzustöbern. Leise rief er den Hund. Seine Eltern schliefen noch, und er wußte, wie deutlich jedes Geräusch im Morgennebel zu hören ist. Er fand Cujo nirgends … und das war sein Glück.
Um viertel vor fünf riß der Wecker Vic aus dem Schlaf. Er stand auf, stellte ihn ab und taumelte nach unten ins Badezimmer. Innerlich verfluchte er Roger Breakstone, der es nie schaffte, wie ein normaler Reisender zwanzig Minuten vor Abflug am Pörtland Airport zu sein. Nicht Roger. Roger kalkulierte alle möglichen Katastrophen ein. Es könnte ja eine Reifenpanne, einen Verkehrsstau, eine unterspülte Straße oder ein Erdbeben geben. Oder fremde Wesen aus dem Weltraum könnten gerade auf der Startbahn gelandet sein.
Er duschte, rasierte sich, schluckte eine Vitamintablette und ging ins Schlafzimmer zurück, um sich anzuziehen. Das große Doppelbett war leer, und er seufzte leise. Er und Donna hatten kein sehr angenehmes Wochenende verbracht… ein solches Wochenende wollte er nie wieder erleben. Zwar hatten sie -wegen Tad - ihre normalen Gesichter aufgesetzt, aber er war sich vorgekommen wie auf einem Maskenball. Er hatte es nicht gern, wenn ihm das Spiel seiner Gesichtsmuskeln bewußt war, während er lachte.
Sie hatten in einem Bett geschlafen, aber zum ersten Mal war ihm das riesige Bett nicht groß genug
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