Cujo
aber noch kaum begriff. Er fühlte sich gut - unglaublich gut und unglaublich lebendig. Ihm taten alle leid, die an diesem schönen Nebelmorgen nicht verreisen konnten. Wenn der Nebel sich erst verzog, würde es wieder sehr heiß werden. Er wollte im Bus am Fenster sitzen und während der ganzen Reise vom Greyhound-Terminal bis Stratford nach draußen schauen. Er hatte gestern abend lange nicht einschlafen können, und jetzt war es noch nicht einmal fünf Uhr, aber wenn er noch länger im Bett geblieben wäre … wahrscheinlich wäre er explodiert oder sowas.
So leise wie möglich zog er Jeans und T-Shirt an, weiße Sportsocken und Schuhe. Er ging nach unten und füllte Cocoa Bears in eine Schüssel. Er versuchte, leise zu essen, aber er war überzeugt, daß das Krachen der Flakes, das er im Kopf vernahm, durch das ganze Haus schallte. Oben hörte er seinen Vater grunzen und sich in dem Doppelbett umdrehen, das er und seine Mutter teilten. Die Federn quietschten. Brett unterbrach seine Kaubewegungen. Nach einer Weile nahm er sich eine zweite Schüssel Cocoa Bears und trug sie auf die hintere Veranda. Er achtete darauf, daß die Tür nicht zuschlug.
Im dichten Nebel waren die verschiedenen Düfte des Sommers deutlich wahrzunehmen. Die Luft war schon warm. Im Osten, eben über den schwachen Umrissen des Fichtengürtels am Ende der östlichen Wiese, sah er schon die Sonne. Sie war klein und silberhell wie der Mond, wenn er hoch am Himmel steht. Der feuchte, alles verhüllende Nebel würde um acht oder neun verschwunden sein, aber die Feuchtigkeit würde bleiben.
Vorläufig aber sah Brett eine weiße, geheimnisvolle Welt vor sich, und er genoß ihre geheimen Freuden: den würzigen Geruch de(s Grases, das in einer Woche gemäht werden sollte, die duftenden Rosen seiner Mutter. Ganz schwach kam sogar das Aroma der Heckenkirschen herüber, die Gary Perviers Zaun, der das Ende seines Grundstücks markierte, allmählich unter einem Gewirr von Ranken begruben.
Er schob die Schüssel zur Seite und ging über den Hof zur Scheune hinüber, die im Nebel verschwunden war. Auf halbem Weg schaute er zurück und sah, daß auch das Haus nur noch in Umrissen zu erkennen war. Ein paar Schritte weiter, und der Nebel hatte es völlig verschluckt. Er war allein im feuchten Weiß der Nebelschwaden, und nur die winzige silberne Sonne schaute auf ihn herab. Er roch die frische Erde, die Heckenkirschen, die Rosen.
Und dann hörte er das Knurren.
Sein Herz machte einen Satz, und er sprang einen Schritt zurück. Alle seine Muskeln spannten sich. Ein Wolf, dachte er voll Entsetzen, wie ein Kind, dem plötzlich ein altes Märchen einfällt. Er sah sich wild um. Es war nichts zu sehen, nur Weiß.
Cujo kam aus dem Nebel.
Ein schluchzendes Geräusch drang Brett aus der Kehle. Der Hund, mit dem er aufgewachsen war, der geduldig den fröhlich jauchzenden fünfjährigen Brett auf seinem Wagen immer wieder über den Hof gezogen hatte und dabei ein Geschirr trug, das Joe in seiner Werkstatt gebastelt hatte. Der Hund, der jeden Tag, selbst bei Wind und Regen, am Briefkasten auf den Schulbus gewartet hatte … dieser Hund war in der schlammbedeckten, zottigen Kreatur nicht mehr wiederzuerkennen, die langsam aus dem Morgennebel zum Vorschein kam. Die großen traurigen Augen des Bernhardiners waren gerötet und hatten einen stumpfen Blick: es waren eher Schweineaugen als die eines Hundes.
Sein Fell war von bräunlichgrünem Morast überzogen, als hätte er sich an der sumpfigen Stelle unten an der Wiese gewälzt. Sein Maul schien zu einem höhnischen Grinsen verzerrt, das Brett vor Entsetzen erstarren ließ. Das Herz schlug ihm bis zum Hals.
Dicker weißer Schaum troff Cujo zwischen den Zähnen hervor.
»Cujo?« füsterte Brett. »Cujo?«
Cujo sah den JUNGEN an, aber er erkannte ihn nicht mehr, kannte sein Aussehen nicht mehr und nicht den Farbton seiner Kleidung (er konnte Farben nicht genau unterscheiden, jedenfalls nicht so, wie die Menschen es können), und er erkannte ihn auch nicht am Geruch. Er sah nur ein Ungeheuer auf zwei Beinen. Cujo war krank, und jetzt erschienen ihm alle Dinge wie Ungeheuer. In seinem Kopf regte sich dumpfe Mordlust. Er wollte beißen und reißen und zerfetzen. Verschwommen hatte er die Vorstellung, daß er den JUNGEN ansprang, ihn zu Boden warf, ihm das Fleisch von den Knochen riß und sein Blut trank, das noch pulsierte, von einem sterbenden Herzen getrieben.
Dann sprach das Ungeheuer, und Cujo erkannte seine
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