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Culpa Mosel

Titel: Culpa Mosel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mischa Martini
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Schwester Edelberga?«
    Die Frau wandte sich um und blickte einen Moment schweigend über die schwarze Hornbrille zu ihm auf. Während sie fast unmerklich mit dem Kopf nickte, wo kein Haar unter der Haube zu sehen war, zogen sich die kleinen Falten auf ihrer Stirn zusammen. Sie wischte mit der rechten Hand, die von Altersflecken übersät war, über ihre Schürze. Der knochige Händedruck war fest.
    »Der Rudi. Was hat er ausgefressen?« Ihre graublauen Augen blickten nachdrücklich. Walde fragte sich, ob es Ironie war, der in ihrer Stimme mitschwang.
    »Er ist tot, er wurde ermordet.«
    »Oh, wann ist das passiert?«
    Walde hatte einen frommen Ausspruch erwartet, aber sie nickte nur, als er ihr die Umstände schilderte, und wandte sich wieder den Pflanzen zu.
    »Ich habe ihn seit zehn, nein, warten Sie«, sie hielt inne, wobei sie den dünnlippigen Mund offenließ, »fünfzehn Jahren nicht mehr gesehen.«
    »Was war Knauer für ein Mensch?«
    »Na ja, ein Sozialpädagoge aus den Siebzigern.« Es schien, als würde sie den Mittelfinger mit etwas mehr Wucht als zuvor in die Erde stoßen, um Platz für ein weiteres Pflänzchen zu schaffen. Der am Tisch hängende Gehstock mit dem Gummistopper wackelte.
    »Wie soll ich das verstehen?«
    »Lange Haare und jede Menge Flausen im Kopf.«
    Als Walde schwieg, fügte sie in milderem Ton an: »Das hat sich aber mit der Zeit gegeben, als er die Realität erkannt hat.«
    »Und die war?«
    »Manchmal nicht einfach, für Leute wie ihn sicher auch manchmal frustrierend, um es in seiner Sprache auszudrücken.« Sie gab etwas von sich, das Walde als eine Art unterdrücktes Kichern deutete. »Antiautoritäre Erziehung traf auf strenge Pädagogik.«
    »Und Sie beide haben sich im Laufe der Zeit zusammengerauft?«, fragte Walde, während er seine Fußspitze aus einer Pfütze zurückzog.
    »Was heißt zusammengerauft? Ich war schließlich die Leiterin, das musste er akzeptieren. Und das hat er auch getan, sonst wäre er nicht so lange bei uns geblieben.«
    »Sagt Ihnen der Name Pawelka etwas?«
    Sie drehte sich zu dem Bord um und werkelte weiter an den Pflanzen.
    »Nein.« Sie schüttelte den Kopf. Er konnte ihre Mimik nicht sehen. Walde spürte, dass er auf diese Weise nicht weiterkommen würde. Er hätte das Gespräch ganz anders beginnen sollen.
    »Darf ich fragen, welche Pflanzen Sie da pikieren?«
    »Die erkennen Sie nicht?« Sie wandte sich erneut zu ihm um. Nach wenigen Sekunden musste er dem strengen Blick aus ihren graublauen Augen ausweichen. »Das sind Tomaten!«
    »Aha.« Er nickte.
    »Mit Sprösslingen kenne ich mich aus.« Diesmal klang das Kichern authentischer. »Können Sie mir den mal geben?« Sie deutete auf den Schlauch mit der Brause am Boden.
    Als Wald ihn aufhob und ihr reichte, tropfte ihm Wasser über die Hose.
    »Früher, ganz früher, lebten wir von dem, was der Garten hergab, und von Spenden.« Mit kleinen Stößen wässerte sie die frisch bepflanzten Töpfe. »Fleisch gab es höchstens als Extraration, wenn jemand krank war.«
    »Hat Rudolf Knauer sich Feinde gemacht?«
    »Hin und wieder musste durchgegriffen werden. Ohne Strenge ging es nicht, aber Feinde … nein.« Sie bemerkte nicht, wie das Wasser längst über den Rand des Topfes lief.
     
    Nach dem Verlassen des Gewächshauses rief Walde im Präsidium an und erfuhr, dass Stiermann erst in zwei Stunden aus Mainz zurückerwartet wurde. Auf dem Weg zum Tor grübelte Walde darüber nach, was Stiermann davon hielte, wenn Schwester Edelberga unter Personenschutz gestellt würde. Dann müsste Andrea Pawelka auch gleich in diese Maßnahme mit einbezogen werden. Und was war mit der Exfrau von Knauer? Kannte er sie damals schon, als die Pawelkas noch in Saarburg lebten? Und die Tochter von Frau Becker konnte ebenfalls in Gefahr sein.
    Wo er schon in der Nähe war, ging Walde nach Hause. Heute Abend würde er wahrscheinlich kaum Zeit für die Familie haben. Mathilda war während des Stillens an Doris’ Brust eingeschlafen. So übernahm er es, Annika im Kindergarten abzuholen.
     
    Auf der Straße wehte ihm ein lauer Südwind entgegen. Als er Richtung Porta Nigra schaute, war dort etwas anders als gewöhnlich. Walde hatte die Fähigkeit, in Sekundenbruchteilen zu erfassen, ob er zum Beispiel eine Straße überqueren konnte. Ebenso fiel ihm auf, wenn sich etwas vom gewohnten Straßenbild unterschied. Der Zimmermann auf Wanderschaft, der an dem kleinen Holztor innegehalten hatte und ihm nun mit federnden Schritten

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