Culpa Mosel
entgegenkam, würde in dieser Gegend weder eine Unterkunft noch Arbeit oder eine Kneipe finden.
Im Flur des Kindergartens war es ruhig. Die Mehrzahl der Kinder schien noch ihren Mittagsschlaf zu halten. Im Gruppenraum saß Annika, die schon seit mehr als einem Jahr tagsüber keinen Schlaf mehr brauchte, an einem Tisch mit drei anderen Kindern und einer Erzieherin. Konzentriert schnitt sie mit einer Schere etwas aus. Walde beobachtete, wie sich ihre aus dem Mund herausgestreckte Zungenspitze bewegte.
»Papa, ich muss dir was zeigen!« Sie pfefferte die Schere auf die Tischplatte und rannte auf ihn zu. Er ging in die Hocke, um sie zu umarmen, aber sie packte seine Hand und zog ihn mit sich zu einer mit hellbraunem Jutestoff bezogenen Wandtafel, über der mit großen Buchstaben KNIPS-GRU … stand. Die fehlenden Buchstaben wurden wohl gerade ausgeschnitten.
»Das haben wir heute schon alles gemacht.« Sie ließ seine Hand los und schaute mit Begeisterung auf die Bilder und Texte, die mit bunten Nadeln an die Tafel geheftet waren.
»Wir wollen die Kinder anregen zu zeigen, was sie besonders gerne essen und warum, mit wem und wann sie essen und zu welchen Festen es besonderes Essen gibt.« Die Erzieherin war nähergekommen. »Jedes Kind durfte sich Fotos aussuchen, die nun hier präsentiert werden«, erläuterte sie weiter. »Und hier entsteht nun die Ausstellung, die wir ab nächster Woche im Foyer zeigen werden.«
Waldes Blick fiel auf ein Foto von Mathilda an Doris’ Brust, daneben prangte ein Bild von ihm im Schlafanzug am Frühstückstisch, unrasiert und mit struppigen Haaren. Es folgte eines von einem Wildschwein, das mit seinem rüsselartigen Maul im schlammigen Boden nach etwas Essbarem wühlt.
»Kennst du einen Witz?« Das fragte ihn Jens, der mit Felix zu ihnen gekommen war.
Walde, der normalerweise keinen Witz länger als drei Tage behalten konnte, fiel überraschenderweise einer ein, den er, wie sollte es anders sein, von Gerichtsmediziner Hoffmann erzählt bekommen hatte.
»Kennt ihr den Witz von den Kannibalen?«
Die Kinder schüttelten den Kopf.
»Also«, hob Walde an, »zwei Kannibalen verspeisen einen Clown. Sagt der eine: ,Der schmeckt aber komisch.’«
Eine Weile war es ruhig, niemand lachte. Dann fragte Jens, oder war es Felix? »Was ist ein Kannibale?«
»Also … der isst Menschen.« Walde schaute verstohlen zu der Erzieherin.
Die beiden Jungen grübelten.
»Beißt er in die rein?«, fragte Annika mit angewiderter Miene.
Walde nickte und registrierte, dass die Erzieherin missbilligend den Kopf schüttelte.
»Du meinst lebendige?«
»Nee, tote, aber die werden vorher gebraten.«
»Iiieh!«, schrien die Kinder im Chor.
»Weißt du wie die schmecken?«, fragte nun Felix oder Jens.
»Das ist doch kein Kannibale, das ist mein Papa, der da, der Waldemar.« Annika zeigte auf die Pinnwand, schlug sich die Hand vor den Mund, als sie entdeckte, dass ihr Finger auf das Foto mit dem Wildschwein wies.
Walde zuckte mit den Schultern: »Ich heiße zufällig genauso wie das Schwein.«
»Entschuldigen Sie, Herr Bock, ich schaue mal nach, ob schon eine Reaktion aus Mainz gekommen ist.« Polizeipräsident Stiermann hatte einen Laptop vor sich auf dem Besuchertisch stehen.
Auch wenn sich im Laufe des Tages einiges auf dem Schreibtisch des Chefs angesammelt hatte, wollte Walde sich nicht davon abhalten lassen, ausführlich zu begründen, warum er dringend mehr Personal benötigte.
Während Stiermann sich durch die Mails klickte, dozierte er: »Sie wissen doch sicher aus Erfahrung, dass eine Ähnlichkeit bei Morden nicht unbedingt heißen muss, dass es sich um denselben Täter handelt.«
»Hier sind unter anderem Vater und Tochter tot!« Wie konnte sich sein Chef als Jurist und ohne die geringsten Detailkenntnisse zu solchen Behauptungen versteigen? Stiermann hätte genauso gut Chef der Handwerkskammer sein können, auch dafür wäre die Fertigkeit, einen Nagel gerade einschlagen zu können, kein Bewerbungskriterium gewesen.
»Die Koblenzer Kollegen sind sich nicht sicher, ob es sich um ein Tötungsdelikt handelt. Und in Verviers wurden nicht einmal Ermittlungen eingeleitet. Die Geschichte mit den Pantherhaaren bitte ich diskret zu behandeln. Es wird bei den belgischen Behörden Irritationen geben, wenn sie von unseren Untersuchungen erfahren.«
»Der Fall in Grevenmacher ist ja wohl eindeutig«, hielt Walde dagegen.
»Darum kümmern sich unsere Luxemburger Freunde, und ich bin
Weitere Kostenlose Bücher