Culpa Mosel
schlafenden Mathilda im Tuch entgegen.
»Lass mich sie nehmen«, bot Walde an.
»Möchtest du nicht vorher was essen?«
»Ich hab’ bei Uli einen Flammkuchen gegessen.«
Sie schnüffelte, als er sie küsste.
»Und einen …«
»Lass mich raten, einen Rosé getrunken.«
»Der Spätburgunder Weißherbst ist nicht schlecht.«
Sie nickte. »Das meinte Marie auch. Wir waren vorgestern da. Ich konnte ihn ja nicht probieren.« Sie legte die zweite Hand unter das Tuch mit dem Baby.
»Darauf würde ich gerne noch mal zurückkommen, auf dich und Marie und auf die Konstantinausstellung.« Walde schaute aus dem Fenster auf die Terrasse, wo Andrea Pawelka mit einem Buch in der Hand in einem der Liegestühle saß.
»Sie liest in dem Buch, aus dem sie vorhin Annika vorgelesen hat.«
»Das Bilderbuch hat höchstens für fünf Minuten Text.«
»Dann schaut sie wohl die Bilder an.«
Andrea trug einen Fleecepullover von Doris. Quintus hatte sich vor ihr auf den Holzdielen niedergelassen und schien nichts dagegen zu haben, dass sie ihre Füße unter sein Fell geschoben hatte.
»Ist es nicht zu kühl?«, fragte Walde, als er zu ihr auf die Terrasse ging.
»Nein, Quintus hält mich warm.« Sie lächelte.
»Wie ist das Buch?« Er nahm sich ein Kissen und setzte sich auf einen der Hocker.
»Als ich noch nicht lesen konnte, hat meine Mutter mir manchmal vorgesungen. Das Vorlesen gehörte bei uns zu Hause nicht zur Kultur. Meine Schwester und mein Vater haben viel gelesen, ich später dann auch. Aber Bilderbücher hatten wir keine, soweit ich mich erinnere.«
»Bei uns gab es nur den Struwwelpeter, auf den hätte ich auch verzichten können«, sagte Walde.
»Was war für dich die schlimmste Geschichte?«
»Das war die«, er zögerte, »die mit dem Daumenlutscher, dem der Schneider mit der großen Schere … du weißt schon.« Er hatte noch die Bilder vor Augen, auch von dem Suppenkaspar und dem Mädchen mit den weinenden Katzen, das mit den Streichhölzern gezündelt hatte, und das Grab vom Suppenkaspar mit der Terrine darauf.
»Die Märchen von den Brüdern Grimm waren auch nicht ohne.«
»Ja, aber anders. Die Geschichten waren für mich irgendwie weiter weg von der Realität.« Er atmete tief ein und aus. »Aber es gibt Dinge, die uns heute Angst einjagen, und das sind keine Märchen.« Er streifte die hochgekrempelten Ärmel seines Hemdes bis zu den Handgelenken hinunter. »Doris hat mir die Sache von dem Mann in Mülheim erzählt.«
»Der Motor von seinem Traktor soll noch warm gewesen sein, als die Polizisten ihn gefunden haben. Ich glaube, ich kenne den Typen vom Sehen. Ein harmloser Winzer an die Fünfzig, wohnt noch bei der Mama.«
»Das mit der Entschuldigung dürfte schwierig werden. Es könnte ein polizeiliches Kontaktverbot gegen ihn verhängt werden.«
»Das geht einfach so?«
»Du kannst auch selbst dafür sorgen, also zivilrechtlich, dass er sich dir nicht mehr nähern darf, weder dein Grundstück betreten noch im öffentlichen Raum in deine Nähe kommen darf. Das Gesetz ist noch recht neu.«
»So eine Art Stalker-Gesetz?«
Während er das Fell des Fußwärmers kraulte, nickte er.
Doris hatte das Baby ins Bett gebracht und stand im Wohnzimmer am Bügelbrett. Der Fernseher lief.
»Willst du jetzt noch bügeln?«, Walde setzte sich auf die Couch und griff nach dem Fernsehprogramm.
»Nur ein Hemd für deine nächste Pressekonferenz.« Sie lächelte und schaute zum Fernseher, wo Monika in Tele Mosel sprach und ein nachdenklich wirkender Walde in einem zerknitterten Hemd neben ihr zu sehen war. »Hast du schon was wegen dem Schloss im Tor unternommen?«
»Der Mann meldet sich.« Walde hatte es schon wieder total vergessen. Er musste sich morgen früh unbedingt gleich als Erstes darum kümmern. »Da fällt mir ein, Jo sagte, ihr hättet bei den Führungen zur Konstantinausstellung auch erzählt, auf welche Weise er seine Familienmitglieder umgebracht hat.«
Sie nickte. »Was die Ostkirche nicht davon abhält, ihn als Heiligen zu verehren.«
»Könntest du mir da Näheres zu sagen?«
»Warte, ich müsste irgendwo eine Biografie von Konstantin haben.« Sie verschwand und kam gleich darauf mit einem roten Büchlein zurück, in dem etliche Lesezeichen klebten.
»Hinter dem Einband steckt eine Notiz, da habe ich seine Schandtaten aufgelistet. Das hat die Besucher immer besonders fasziniert«, sagte sie. »Wenn Kinder dabei waren, gab es die entschärfte Variante.«
»Und das hat sich wirklich
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