Cupido #1
einem Kleiderbügel. Sich unter einem Mann winden, der seinen Spaß daran hat, einem die Haut aufzuschlitzen und zuzusehen, wie das Blut hervorquillt. So lange innerlich zu schreien, dass man das Gefühl hat, man würde vor Schmerz und Angst explodieren. Vielleicht haben Sie den Bericht, den Sie Ihrem Mandanten gegeben haben, nicht selbst gelesen. Denn sonst wüssten Sie, dass der Mann, der mich vergewaltigt hat, nicht einfach nur einen kleinen Schnitzer gemacht hat. Ich bin seitdem unfruchtbar. Unter meinen Kleidern sehe ich aus wie ein Monster. Er wollte mich langsam verbluten lassen. Und Sie glauben, dass Sie einfach eine solche Anschuldigung aus dem Hut ziehen können, ohne dass die Wirkung schmerzhaft oder erschütternd oder absolut verheerend ist? Wie kommen Sie eigentlich dazu?»
«Er ist mein Mandant, C. J. Und ihm droht die Todesstrafe.» Ihre Stimme war ein ersticktes Flüstern, ihre Worte flehten um Verständnis. Aber dazu war C. J. nicht in der Lage.
«Und Ihr Mandant sagt Ihnen auch noch, dass er eine Bestie ist. Und behauptet, dass er vor zwölf Jahren auf bösartigste Weise eine Frau vergewaltigt hat, die zufällig die Anklägerin ist, vor der er vor Gericht wegen Mordes und Vergewaltigung an elf Frauen steht. Wie überaus praktisch. Und ohne einen Gedanken an die Konsequenzen zu verschwenden, werfen Sie einer Frau, von der Sie genau wissen, dass sie das Opfer einer Vergewaltigung gewesen ist, diese Anschuldigung an den Kopf, während dieser Mensch genau daneben sitzt? Ich habe keine Ahnung, wie Ihr Mandant an die Information über meine Vergewaltigung gekommen ist, das weiß ich wirklich nicht. Aber ich sage Ihnen so viel – mein Gewissen ist rein. Und wenn er durch irgendeinen Zufall freigesprochen werden sollte, wenn er irgendwann aus dem Gefängnis kommen sollte und wieder eine unschuldige Frau vergewaltigt und ermordet – was so sicher wie das Amen in der Kirche ist, wenn er die Möglichkeit dazu hat –, dann weiß ich, dass ich der Familie dieser Frau ins Gesicht sehen und ehrlich sagen kann: ‹Ich trauere mit Ihnen.› Aber können Sie das auch, Lourdes?»
Lourdes schwieg. Tränen rollten ihr über die Wangen.
«Tun Sie, was Sie für richtig halten. Und ich tue, was ich für richtig halte. Ich habe einen Termin.»
Und damit wandte sich C.J. ab, überquerte die 13. Street und ließ Lourdes Rubio weinend auf dem Bürgersteig vor dem Dade County Gefängnis zurück.
52.
«C.J. Townsend. Staatsanwaltschaft.» Sie zeigte dem Officer am Empfang ihren Ausweis.
«Zu wem wollten Sie, hatten Sie gesagt?»
«Special Agent Chris Masterson.»
«Ach ja, warten Sie einen Moment, er kommt gleich herunter.»
C.J. lief nervös in der Lobby der FDLE–Zentrale auf und ab. An einer Wand hingen Urkunden und Plaketten und ein vergrößertes Foto der goldenen Dienstmarke eines Special Agent. An der anderen Wand befand sich ein großer Glaskasten mit Vermisstenmeldungen, die praktisch übereinander klebten. Auf den meisten Fotos waren ausgerissene Teenager oder Kinder zu sehen, die von einem geschiedenen Elternteil entführt worden waren, aber es gab auch Personen, die unter verdächtigen Umständen verschwunden waren. Sie liefen unter dem Prädikat «gefährdet». Die Zettel blieben so lange hinter der Scheibe, bis die Person gefunden oder der Fall gelöst war. Die Neuzugänge wurden mit Reißzwecken dazugepinnt, sodass die älteren zum Teil von ihnen verdeckt wurden. C. J. entdeckte das Schwarzweißfoto einer lächelnden Morgan Weber, halb unter dem sommersprossigen Gesicht eines ausgerissenen Teenagers. Sie waren also noch nicht dazu gekommen, ihr Bild abzunehmen.
Die Tür öffnete sich, und Chris Masterson kam herein. «Hallo, C. J., wie geht's? Tut mir Leid, dass es so lange gedauert hat. Dominick hat mir gar nicht gesagt, dass Sie heute die Asservaten ansehen wollen, ich musste noch schnell alles aufbauen.»
«Eigentlich wollte ich erst Donnerstag kommen, Chris, aber da habe ich eine Anhörung, und am Freitag muss ich schon das FBI durchführen. Also bin ich jetzt hier. Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben.»
«Nicht der Rede wert.» Über mehrere verschachtelte Flure erreichten sie schließlich den Konferenzraum. Die Zentrale der Sonderkommission. Chris schloss die Tür auf. Auf dem langen Konferenztisch standen große Pappkartons, auf die CUPIDO und das Aktenzeichen gekritzelt war. «Die Inventarlisten liegen auf dem Tisch. Alles, was wir bei der Durchsuchung
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