Cupido #1
erzählen würde. Denn jedes Wort, jede Information war ein Stück des Millionen Teile großen Puzzles, das diesen Mann ergab – was er dachte, was für ein Mensch er war.
Sie hatte sich noch nie zu einem Cop hingezogen gefühlt. Die meisten von ihnen waren viel zu anmaßend, fand sie, jeder ritt auf seinem persönlichen Powertrip, etwas, dass sich bei dieser Arbeit kaum vermeiden ließ. Und C. J. war keine Person, die man herumkommandieren konnte. Daher war sie besonders verblüfft darüber,
wie anders Dominick war. Er war stark, aber er war nicht dominant. Er hatte jede Situation im Griff, ohne herrschsüchtig zu sein. Er leitete eine Sonderkommission voller potenzieller Egoisten, doch unter ihm waren sie zu einer vereinten Front verschmolzen – trotz all der Blitzlichter und Kameras im letzten Jahr. Außerdem hatte sie bemerkt, dass Dominick zuerst zuhörte und dann redete – noch ein Zug, der bei Polizisten eher ungewöhnlich war, wenn nicht bei Männern überhaupt. Über die letzten zwölf Monate hatten sie einander eine Menge zu sagen gehabt, auch außerhalb der Welt der Verbrecherjagd und der Strafprozesse. Und wenn sie die Gelegenheit dazu gehabt hätten, dann hätten sie all die Gemeinsamkeiten ausleben können, die sie entdeckt hatten – Rad fahren, Reisen, Kunst und Musik.
Noch nie hatte sie ein Mann so interessiert wie Dominick, nicht einmal Michael. Noch nie hatte sie so sehr alles über jemanden erfahren wollen. Und jetzt, nachdem er ihr neulich Abend seine Gefühle gezeigt hatte, fragte sie sich, ob es ihm vielleicht genauso ging? Ob vielleicht auch er alles von ihr wissen wollte? Und das hätte sie sogar zugelassen. Deshalb war es jetzt umso härter. Diese überwältigenden Empfindungen opfern zu müssen, bevor sie sich überhaupt voll entfalten konnten. Sich danach wohl immer die Frage stellen zu müssen, was gewesen wäre, wenn. Denn vielleicht hätte sie ihn in ihr Herz gelassen – aber die Umstände machten das jetzt unmöglich. Er war ein weiteres Opfer in diesem Spiel.
Einen Moment lang war sie versucht, ihn zurückzurufen, seine Stimme zu hören, vielleicht noch einmal das warme Gefühl zu spüren, das sie vor zwei Tagen an ihrer Wohnungstür gehabt hatte. Aber sie schob die Idee schnell weg. Ihre Entscheidung, weiter am Cupido–Fall zu arbeiten, schloss Konsequenzen ein. Sie wusste das, und sie nahm es in Kauf.
Trotzdem würde sie irgendwann mit ihm sprechen müssen, schon rein beruflich, um mit dem Fall voranzukommen. In diesem Moment klingelte das Telefon.
«Staatsanwaltschaft, Townsend am Apparat.»
«Bonjour, Madame Anklägerin.» Es war Christine Frederick.
«Christine? Wie geht es dir?» C. J. probierte ihr Französisch lieber gar nicht erst aus. Das war besser für alle Beteiligten. Es spielte auch keine Rolle, denn die Stimme am anderen Ende der Leitung sprach perfekt Englisch, mit dem Hauch eines französischen Akzents.
«C. J. Townsend! Hallo! Wie läuft es so in euren tropischen Gefilden?»
«Heiß. Und wie steht's bei dir?»
«Ich sage immer, wenn ich ein Verbrecher wäre, würde ich in Florida arbeiten, C. J. Immer sonnig und warm. Hier ist alles bestens! Ich kann nicht klagen. Nur dass es gerade regnet.»
«Das würde ich dir nicht raten, Christine. Geh lieber an die Riviera, wo die internationalen Verbrecher wenigstens reich sind und das Essen gut ist – wie heißt es noch gleich – magnifique?»
Christine lachte. «Très bien, mon amie! Ich habe deine Nachricht bekommen. Passt es dir gerade?»
«Ja. Danke, dass du so schnell zurückrufst. Ich brauche deine Hilfe in einem Fall. Ich würde ungern den korrekten Weg über Washington gehen, weil ich es noch nicht offiziell machen will.»
«Na klar, C. J. Wie kann ich dir helfen?»
«Könntest du bei Interpol einen Modus Operandi durchlaufen lassen und sehen, ob sich Parallelen finden? Wir haben hier in Miami nämlich einen möglichen Serienvergewaltiger, der regelmäßig ausgedehnte Reisen macht, vor allem in arme Länder Südamerikas, außerdem nach Mexiko und auf die Philippinen. Ich muss wissen, ob irgendwas auf ihn passt.»
«Was hast du?»
«Er ist weiß, männlich, um die vierzig. Verwendet eine Gummimaske. Meistens eine Clown oder Alien–Maske, aber vielleicht auch andere Halloween–Verkleidungen. Er bricht in Erdgeschosswohnungen von jungen, allein lebenden Frauen ein. Wahrscheinlich kundschaftet er sie eine Weile aus, bevor er zuschlägt. Seine Waffe ist ein Messer, und in den meisten Fällen
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