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Cyber City

Cyber City

Titel: Cyber City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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Geschehene mit einem neuen Namen nach außen zu dokumentieren. Es war ihm sozusagen zugeflogen, dieses einsilbige Wort, die Eingebung eines Augenblicks.
    Die »kleinstmögliche Änderung«? Vielleicht, daß es, wäre er zu einem weniger radikalen Angehörigen der solipsistischen Nation geworden, weit mehr Verfälschungen und Eingriffen an seiner Persönlichkeit bedurft hätte, um von seinem neuen Leben überzeugt zu sein. So waren es nur einige kühne, tiefe Schnitte, die für Klarheit sorgten, statt Tausender winzig kleiner Verstümmelungen.
    Es war nicht bei jenem ersten Schritt geblieben; ihm folgte eine ganze Serie von Eingriffen, die er bewußt und absichtsvoll unternahm. Dieser Peer (so wollte er es) hatte nichts mit Sentimentalitäten und nostalgischen Rückblicken im Sinn; stieß er auf einen Aspekt seiner Persönlichkeit, der ihm lästig werden konnte, dann machte er kurzen Prozeß. Es gab Charaktereigenschaften, die er so (höchstwahrscheinlich) für immer aus seinem Ich verbannte: ein ganzes Bündel kleinlicher   Eifersüchteleien,    Eitelkeiten,    Skrupel   und zwanghafter Gewohnheiten, die Neigung zu Depressionen und irrationalen Schuldgefühlen … Andere kamen und gingen. Er entwickelte Talente, Neigungen zu dieser oder jener Gemütslage, von denen er sich, ihrer überdrüssig, wieder trennte, um bei anderer Gelegenheit erneut darauf zurückzukommen. Das galt auch für seine Wißbegier, für das Interesse an Kunst und Sport. Innerhalb weniger (subjektiver) Tage konnte er sich vom hingebungsvoll asketischen Adepten der sumerischen Archäologie zu einem sinnesfrohen Feinschmecker verwandeln, der sich im Zelebrieren verschwenderischer (simulierter) Festmahle erging – nur um kurz darauf ein disziplinierter Schüler des Shotokan-Karate zu sein.
    Aber der wahre Kern seines Selbst blieb unangetastet. Es gab Werte, Gefühle – oder besser: die Neigung zu bestimmten Gefühlen –, ästhetische Vorlieben, die jede Änderung, jeden Wechsel überlebt hatten.
    Das galt auch für seinen Willen zum Überleben selbst.
    Peer hatte sich manchmal gefragt, ob das genug war. Nur eine Handvoll unveränderlicher Eigenschaften (und die mehr oder weniger unterbrochene Kette seiner Erinnerung) war von David Hawthorne geblieben. Genug? Hatte dieser Mann, wenn auch unter anderem Namen, die Unsterblichkeit gefunden, die er um jeden Preis hatte haben wollen? … Oder war er längst tot, gestorben, irgendwo auf dem Weg unaufhörlicher Veränderung?
    Er fand keine Antwort. Alles, was sich dazu sagen ließ, war: Es gab jemanden, der wußte – oder meinte –, einmal David Hawthorne gewesen zu sein.
    Und darum hatte Peer die bewußte Entscheidung getroffen, es damit bewenden zu lassen.
     

12
    (Zerhackter, verlangsamter Spielzeugmensch)
    Juni 2045
     
    Paul fuhr das Terminal hoch und stellte die Verbindung zu seinem alten, organischen Selbst her. Der Dschinn wirkte müde und angespannt. Das viele Betteln und Bestechen, das zur Verwirklichung der letzten Stufe des Experiments nötig gewesen war, mußte ihn eine Menge Kraft und Nerven gekostet haben. Paul dagegen fühlte sich lebendig wie nie zuvor, gleich mit welchem Leben er es verglich. Vielleicht hatte er ein flaues Gefühl im Magen – aber dieses Kribbeln auf der Haut, am ganzen Körper, war mehr ein Vorgefühl des Triumphs als irgend etwas sonst. Sein Körper sollte in Stücke geschnitten, bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt werden – doch er wußte, daß er keinen Schaden nehmen, keinen Schmerz spüren würde. Er würde überleben.
    Zschwitt. »Experiment Nummer drei. Grundlinienbestimmung. Berechnungen erfolgen durch Prozessor-Cluster vier-sechs-zwei, Hitachi-Rechenzentrum Tokio.«
    »Eins … Zwei … Drei …« Es war ganz nett, endlich einmal zu erfahren, wo er sich befand. Paul war nie in seinem Leben in Japan gewesen. » … Vier … Fünf … Sechs …« Und genaugenommen war er auch jetzt nicht dort. Der Blick aus dem Fenster zeigte Sydney, nicht Tokio; was sollte er mit der Geographie draußen, wenn sich dadurch für ihn nicht das mindeste änderte? » …Sieben … Acht … Neun … Zehn.«
    Zschwitt. »Erster Versuch. Aufteilung des Modells in fünfhundert Sektionen für fünfhundert verschiedene Prozessor-Cluster, weltweit verteilt.«
    Paul zählte. Fünfhundert Cluster. Und nur fünf davon für das Modellieren der äußeren Welt – die er wahrnahm; alles übrige war nur für ihn da, für seinen Körper – und hier wiederum war es sein Gehirn, das

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