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Cyber City

Cyber City

Titel: Cyber City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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die meiste Kapazität beanspruchte. Er hob eine Hand und musterte sie: Datenströme, die ihm die motorische Kontrolle und das Sehen ermöglichten, jagten über Tausende von Kilometern durch Lichtleiterkabel. Er konnte nicht die geringste Verzögerung feststellen – wie auch? Wenn nötig verharrte das Modell so lange, bis die Daten für das Feedback aus irgendeinem Winkel der Welt eingetroffen waren.
    Natürlich war es der reine Wahnsinn, sowohl computertechnisch als auch vom wirtschaftlichen Standpunkt aus betrachtet. Paul schätzte, daß er jetzt mindestens hundertmal so viel kostete wie sonst – sicher nicht fünfhundertmal, denn die Kapazität jedes einzelnen Clusters wurde nur zu einem Bruchteil genutzt, und wahrscheinlich war der Verlangsamungsfaktor von siebzehn auf fünfzig oder mehr gestiegen. Früher hatte man geglaubt, daß das Aufteilen einer Kopie auf so viele Rechner wie möglich das Problem der Verlangsamung lösen oder zumindest mildern könnte – aber da hatte man nicht mit den Engpässen in der Datenübertragung gerechnet, die den Austausch zwischen den Clustern behinderten. Selbst die reichsten Kopien konnten einen Verlangsamungsfaktor von siebzehn nicht unterschreiten. Es spielte keine Rolle, wieviel Hardware sie sich leisten konnten – das Aufteilen des Modells kostete mehr Zeit, als mit zusätzlicher Rechenkapazität zu gewinnen war.
    Zschwitt. »Zweiter Versuch. Eintausend Sektionen, eintausend Cluster.«
    Ein Gehirn, so groß wie ein ganzer Planet – und was tue ich damit? Ich zähle bis zehn. Paul mußte daran denken, wie fest jene naive, paranoide Idee in den Köpfen der Menschheit verankert war: die Angst, daß eines Tages aus miteinander verbundenen Computern der Erde ein globales, allem Menschlichen überlegenes Bewußtsein entstehen könnte. Er war ziemlich sicher, daß er der einzige weltumspannende Geist war, doch er fühlte sich keineswegs als digitalisierte Gaia, sondern wie ein ganz normaler Mensch, der in einem ganz normalen Zimmer von ganz normaler Größe saß.
    Zschwitt. »Dritter Versuch. Aufteilung in fünfzig Sektionen und zwanzig Zeitabschnitte, verteilt auf eintausend Cluster.«
    »Eins … Zwei … Drei …« Paul versuchte, sich die Welt draußen vorzustellen, wie sie ihm jetzt erscheinen müßte. Er war nicht nur über den gesamten Globus verteilt, sondern die weit voneinander entfernten Maschinen berechneten gleichzeitig auch noch verschiedene Abschnitte seiner subjektiven Zeit. Entsprach die Entfernung Tokio – New York nun der Länge seine Corpus callosum? War die Welt auf die Größe seines Schädels geschrumpft und zugleich aus der physikalischen Zeit verschwunden – bis auf die fünfzig Rechner, die gerade das Ergebnis produzierten, das er »Gegenwart« nannte?
    Vielleicht nicht – obwohl den Augen eines hypothetischen Weltraumreisenden der ganze Planet sehr wohl als »eingefroren« in der Zeit und platt wie ein Pfannkuchen erscheinen konnte. Die Relativitätstheorie besagte, daß ein solcher Blickwinkel durchaus denkbar war – doch das galt nicht für den Blickwinkel Pauls. Relativistische Effekte führten zu kontinuierlicher Deformation, nicht zu willkürlicher, sprunghafter Veränderung. Warum nicht? Das Gesetz von Ursache und Wirkung war nicht aufgehoben, denn die Ursache ging von einem bestimmten Ort aus und bewegte sich lediglich mit endlicher Geschwindigkeit an einen anderen Ort. Die Raumzeit in Stücke zu hacken und beliebig wieder zusammenzusetzen würde das Ende jeder Kausalität bedeuten.
    Und was, wenn man ein Beobachter wäre, der seiner Natur nach selbst nicht-kausal war? Eine ihrer selbst bewußte Struktur, die zufällig im Rauschen eines Zufallsgenerators entstand und deren Zeitkoordinaten durch die seriöse, Kausalität ermöglichende »wirkliche« Zeit hin- und herhüpften? Mit welchem Recht konnte man jemanden als zweitklassiges Wesen bezeichnen, der das Universum auf seine Weise betrachtete? Und wer konnte sagen, worin letztlich der Unterschied zwischen der Herrschaft der sogenannten »Kausalität« und anderen der Welt immanenten Mustern lag?
    Zschwitt. »Vierter Versuch. Fünfzig Sektionen, zwanzig Zeitabschnitte. Zufällige Verteilung von Sektionen und Zuständen auf eintausend Cluster.«
    »Eins … Zwei … Drei.«
    Paul hörte auf zu zählen, streckte die Arme weit aus und erhob sich langsam. Er drehte sich einmal um sich selbst, blickte sich prüfend um. Das Zimmer war noch so, wie es die ganze Zeit gewesen war. Nichts fehlte,

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