Cyber City
Photosynthese im Autoversum einzuführen erschien Maria als das schwierigste Problem, doch sie war zuversichtlich: Sie hatte Lamberts Aufzeichnungen studiert und sich mit allen Techniken vertraut gemacht, die er zur Anpassung biochemischer Prozesse an die Chemie des Autoversums entwickelt hatte. Selbst wenn das Pigment ihrer Wahl nicht das am besten geeignete sein sollte: Solange die Urkeime überlebten und sich vermehrten, besaßen sie auch das Potential, irgendwann selbst eine bessere Möglichkeit zu entwickeln.
Das Potential, aber nicht die Gelegenheit.
Sie wollte gerade das Laplacesche Roulette verlassen, als im Vordergrund der Arbeitszone eine Nachricht aufblitzte:
JUNO: Die statistische Analyse der Laufzeiten und der Fehlerquote hat ergeben, daß Ihre Leitung zum Supercomputer überwacht wird. Möchten Sie zu einem besser verschlüsselten Protokoll wechseln?
Maria schüttelte den Kopf. Das war wirklich zu komisch. Es mußte ein Fehler in der Software sein, ganz sicher war kein Lauscher in der Leitung. JUNO war frei verfügbare Public-Domain-Software (Spenden waren willkommen!), die sie aus keinem anderen Grund als aus Solidarität mit der ›Lobby zum Schutz der Privatsphäre in den USA‹ von einem Server heruntergeladen hatte. Die Bundesgesetzgebung der Vereinigten Staaten verbot noch immer die Benutzung abhörsicherer Software und Spionagedetektorprogramme für den privaten Gebrauch, um dem FBI die Arbeit zu erleichtern. Maria hatte den JUNO-Autoren eine Spende überwiesen, um sie in ihrem Kampf für die gute Sache zu unterstützen. Daß sie das Programm überhaupt installiert hatte, war eigentlich nur ein Witz gewesen; die Vorstellung, daß irgend jemand sich die Mühe machen und ihre Telefonate mit Francesca abhören oder ihre üblichen langweiligen Programmieraufträge ausspionieren wollte – von ihren im höchsten Fall selbstbefriedigenden Ausflügen ins Autoversum ganz zu schweigen –, war einfach lächerlich.
Nun, wenn es ein Scherz war, dann wollte sie auch mitspielen. Sie startete über die Datenleitung zum Supercomputer eine Textverarbeitung – die ihres lokalen Terminals war dem Zugriff von Lauschern entzogen – und begann zu tippen:
Wer auch immer Sie sind, ich warne Sie: Ich werde jeden Augenblick den bewußtseinslöschenden fraktalen Langford-Basilisken starten, deshalb …
Es klingelte an der Tür. Maria rief das Bild des elektronischen Türspions auf den Schirm. Eine Frau stand vor ihrer Tür, die sie noch nie zuvor gesehen hatte: Vielleicht Anfang Vierzig, seriös, unauffällige Erscheinung. Der Wagen, mit dem sie hergekommen war, verriet schon einiges mehr: ein zweisitziger Kleinwagen mit Elektroantrieb, Modell Mitsubishi Avalon, Die Polizei von Neusüdwales war so ziemlich der einzige Abnehmer dieses Modells gewesen, bevor das Werk in Bankstown im Jahr 2046 geschlossen worden war. Maria hatte sich immer gefragt, warum sie sich nicht dazu entschließen konnten, ein Blaulicht an ihre vermeintlichen Zivilfahrzeuge zu montieren: Das wäre aufrichtiger gewesen. Statt dessen taten sie noch immer so, als wüßte niemand, wer in diesen Karossen die Straßen unsicher machte.
Sie überlegte kurz, ob sie sich in letzter Zeit etwas hatte zuschulden kommen lassen – nichts –, dann eilte sie die Treppe hinunter und öffnete.
»Maria Deluca?«
»Ja.«
»Ich bin Detektiv-Sergeantin Hayden, Dezernat Computerbetrug. Wenn Sie erlauben, würde ich Ihnen gerne ein paar Fragen stellen.«
Maria zermarterte sich den Kopf, ob sie nicht doch geheime Sünden begangen hatte; ihr wäre bedeutend wohler gewesen, wenn jemand von der Mordkommission gekommen wäre oder vom Raubdezernat: dann hätte sie sofort gewußt, daß er bei der falschen Adresse gelandet war. Sie sagte: »Aber ja, selbstverständlich. Kommen Sie herein.« Dann, als sie schon die Tür geöffnet hatte: »Äh … das hätte ich fast vergessen – ich vermute, Sie können sich legitimieren?«
Mit einem unverhohlen falschen Lächeln hielt Detektiv-Sergeantin Hayden ihre Polizeimarke hoch, und Maria schloß das Interface ihres elektronischen Notizbuchs an. Der Computer überprüfte, ob der Code der Polizeimarke mit dem an diesem Tag über die Radiosender ausgestrahlten amtlichen Code übereinstimmte und piepte zufrieden.
Nachdem sie auf der Wohnzimmercouch Platz genommen hatte, kam Detektiv-Sergeantin Hayden ohne Umschweife zur Sache. Sie zog ihr eigenes elektronisches Notizbuch hervor und zeigte Maria ein
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