Cyber City
man alles übrige unangetastet lassen. Niemand hatte eine »vernünftigere« Version des Autoversums mit einer auch nur halbwegs ähnlich reichen Chemie wie der des Originals zustande gebracht. Ricardo Salazar, ein Mathematiker aus Peru, hatte schließlich nachgewiesen, daß die Mühe umsonst gewesen war: Die Regeln des Autoversums erzeugten ein mathematisches Gebilde, das genau an der Grenze zwischen zwei verschiedenen algorithmischen Komplexitätsebenen lag; bereits die kleinste Änderung führte zu einem Zusammenbruch des Automaten. Das Fehlen oder Vorhandensein der Schwerkraft hatte auf die Chemie des Autoversums keine Auswirkungen, doch in ihrem Ursprung waren beide Phänomene unentwirrbar miteinander verwoben.
Maria schwebte ein Sonnensystem mit vier Planeten vor, drei kleinen und einem Riesen. Der »Saatplanet«, Lambert, kreiste von der Sonne gesehen auf der zweiten Umlaufbahn. Er sollte wenn möglich einen kleinen Mond besitzen. Ob Gezeitentümpel bei der irdischen Evolution eine Rolle gespielt hatten oder nicht, ob sie Brücke oder Zwischenstation auf dem Weg des Lebens an Land gewesen waren – es konnte nicht schaden, Lambert so erdähnlich wie möglich zu machen (davon abgesehen, daß auch die Sonne geringe Gezeitenwirkungen verursachte). Die Erde war für die Entwicklung von Leben schließlich das einzige Beispiel, die einzige Quelle der Inspiration. Viele Einzelheiten der irdischen Evolution waren immer noch umstritten, daher schien es Maria die beste Methode zu sein, jeden möglicherweise bedeutsamen Faktor zu berücksichtigen. Die Schwerkrafteinflüsse der anderen Planeten würden ein ausreichend kompliziertes Wechselspiel von Milankowitsch-Zyklen garantieren, kleine Veränderungen der Umlaufbahn, Verschiebungen der Rotationsachse, langfristige Klimaschwankungen, Eiszeiten. Kometen, Trümmer und Staub würden das Szenario vervollständigen – nicht nur als Hilfe beim Entstehen einer Atmosphäre, auch im Verlauf der späteren Jahrmilliarden durch die gelegentliche Möglichkeit katastrophaler Meteoriteneinschläge.
Das Problem war, alle diese möglicherweise evolutionsfördernden Merkmale mit einer Version von Lambert zu kombinieren, die ihrerseits den Urkeimen die Möglichkeiten zur Entwicklung bot. Maria hatte sich ein halbes Dutzend Modifikationen von A. lamberti ausgedacht, die den Organismus von den Umweltbedingungen unabhängig machen sollten – doch sie wollte abwarten, welche Bedingungen überhaupt entstanden, bevor sie die letzte Entscheidung traf.
Das war noch immer keine Antwort auf die Frage, ob »Urkeime« – oder irgendeine andere Art von Leben – von selbst auf Lambert hätte entstehen können – ohne daß sie von außen dort plaziert wurden. Max Lambert hatte beim Entwurf des Autoversums gehofft, einen Beweis für seine Theorie zu finden, daß sich selbst duplizierende molekulare Systeme – also primitives Leben – aus einfachen Stoffgemischen entwickeln konnten. Das Autoversum sollte ein Kompromiß sein zwischen den zwar genauen, aber zu teuren, zu komplizierten und in der Simulation am Rechner viel zu langsamen chemischen Experimenten der wirklichen Welt und jenen bis zur Unkenntlichkeit vereinfachten, aber durchführbaren Simulationen mit künstlichen Viren, genetischen Algorithmen, sich selbst reproduzierenden Maschinen auf der Basis zellularer Automaten. Was für die Möglichkeiten der Rechner einfach genug war, war kaum geeignet, Licht auf die Entstehung des Lebens zu werfen.
Lambert hatte ein ganzes Jahrzehnt lang vergeblich herauszufinden versucht, unter welchen Bedingungen im Autoversum spontan Leben entstehen konnte. Er hatte in zwölfjähriger Arbeit A. lamberti entwickelt und sich vergewissert, daß sein Ziel im Prinzip erreichbar war: Immerhin hatte er gezeigt, daß Leben im Autoversum gedeihen konnte, woher auch immer es stammte. A. lamberti beanspruchte seine volle Aufmerksamkeit und hielt ihn davon ab, das ursprüngliche Forschungsziel weiterzuverfolgen.
Maria hatte häufig mit dem Gedanken gespielt, einen eigenen Versuch zum Thema »Urzeugung« zu wagen; sie hatte es nie in die Tat umgesetzt. Es war keine Arbeit, die in absehbarer Zeit zu einem Ergebnis führen würde – im Vergleich dazu war das Problem, A, lamberti zu einer vorteilhaften Mutation anzuregen, geradezu trivial, ein Spaziergang über bekannte Wege statt durch einen gefährlichen, in die Irre führenden Dschungel. Und obwohl es in gewissem Sinne genau das war, was Durham beweisen wollte,
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