Cyberabad: Roman (German Edition)
sie nur ein Kind ...«
»Mutter! Nein!«, ruft Parvati.
»... ein richtiges Kind bekommen könnte. Ein Kind, das ihrer gesellschaftlichen Stellung würdig ist. Einen wahren Erben.«
Die Luft ist immer dicker geworden. Mr. Nandha schafft es kaum, den Kopf zu Mrs. Sadurbhai zu drehen.
»Ein Brahmane? Ist es das, was Sie sagen wollen? Parvati, ist das wahr?« Sie sitzt weinend am Ende des Tisches, das Gesicht unter ihrem Dupatta verborgen. Mr. Nandha spürt, wie der Tisch unter ihren Schluchzern zittert. »Ein Brahmane. Ein genetisch manipuliertes Kind. Ein menschliches Kind, das doppelt so lange lebt, aber halb so schnell altert. Ein menschliches Wesen, das niemals Krebs bekommen kann, das niemals Alzheimer bekommen kann, das niemals Arthritis oder all die anderen degenerativen Erkrankungen bekommen kann, die uns bevorstehen, Parvati. Unser Kind. Die Frucht unserer Verbindung. Ist es das, was du willst? Wir werden unsere Keimzellen zu den Ärzten bringen, und sie werden sie öffnen und auseinandernehmen und verändern, bis es nicht mehr unsere Gene sind, um alles wieder zusammenzusetzen und dir einzupflanzen, Parvati. Sie pumpen dich mit Hormonen und Fruchtbarkeitsmedikamenten voll und schieben es dir in die Gebärmutter, bis es dich übernimmt und du davon anschwillst, von diesem fremden Wesen in dir.«
»Warum wollen Sie ihr das verwehren?«, ruft Mrs. Sadurbhai. »Welche Eltern würden sich die Chance auf ein perfektes Kind entgehen lassen? Sie wollen das einer Mutter verweigern?«
»Weil diese Kinder nicht menschlich sind!«, errregt sich Mr. Nandha. »Haben Sie solche Kinder gesehen? Ich habe sie gesehen! Ich sehe sie jeden Tag in den Straßen und den Büros. Sie sehen so jung aus, aber es gibt so viel, was wir nicht wissen. Die Kaihs und die Brahmanen sind unser Untergang. Wir werden überflüssig. Wir landen in der Sackgasse. Ich kämpfe gegen unmenschliche Monster, also werde ich keines in der Gebärmutter meiner Frau dulden!« Seine Hände zittern. Seine Hände zittern. Das ist nicht richtig. Siehst du, was du dir mit diesen Frauen eingehandelt hast? Mr. Nandha rückt vom Tisch ab und steht auf. Er fühlt sich kilometergroß, riesig und diffus wie ein Avatar aus seiner Box, gebäudefüllend. »Ich gehe jetzt. Ich habe Dinge zu erledigen. Ich kehre vielleicht erst morgen zurück, aber wenn ich zurückkehre, wird sich deine Mutter nicht mehr unter diesem Dach aufhalten.«
Parvatis Stimme folgt ihm, während er die Treppe hinuntersteigt.
»Sie ist eine alte Frau, es ist spät, wohin soll sie gehen? Du kannst doch eine alte Frau nicht einfach auf die Straße werfen.«
Mr. Nandha antwortet nicht. Er muss eine Kaih exkommunizieren. Als er vom Foyer des staatlichen Apartmentkomplexes zu seinem staatlichen Dienstwagen geht, fliegen Tauben mit pfeifend und klatschend applaudierenden Flügeln auf. Er schließt die Faust um das Elfenbeinbildnis Kalkis.
37 Shaheen Badoor Khan
Von diesem Türmchen wurden einst Gäste durch Trommler begrüßt, wenn sie den Damm durch den Sumpf überquert hatten. Wasservögel flogen zu beiden Seiten auf, Reiher, Kraniche, Löffler, die Wildenten, die Moazam Ali Khan dazu verführt hatten, hier auf der winterlichen Überschwemmungsebene des Gaghara am Ramghar Lake sein Jagdhaus zu errichten. Jetzt ist der See trocken, der Sumpf ist nur noch ausgedörrter Schlamm, die Vögel sind verschwunden. Zu Shaheen Badoor Khans Lebenszeiten ertönten nie Trommeln vom Naqqar Khana. Selbst in den Tagen seines Vaters war das Haus halb verfallen gewesen – Asad Badoor Khan, nun in den Armen Allahs schlafend, unter dem einfachen Marmorrechteck im Familiengrab. Shaheen Badoor Khan erlebte, wie zuerst Zimmer, dann Suiten und schließlich Flügel aufgegeben und der Hitze und dem Staub überlassen wurden. Die Stoffe verrotteten und zerrissen, der Putz wurde fleckig und blätterte in der Feuchtigkeit des Monsuns ab. Selbst der Friedhof ist mit Gras und wucherndem Unkraut überwachsen, nun verwelkt und gelb in der Dürre. Die schattenspendenden Ashok-Bäume sind einer nach dem anderen gefällt und von den Hausmeistern zu Brennholz verarbeitet worden.
Shaheen Badoor Khan hat das alte Jagdhaus von Ramghar Kothi noch nie gemocht. Deshalb ist er hierhergekommen, um sich zu verstecken. Nur seine engsten Vertrauten wissen, dass das Gebäude noch steht.
Er musste zehn Minuten lang hupen, bis das Personal aufwachte und auf die Idee kam, dass jemand die Absicht hegen könnte, das Haus zu besuchen. Es ist ein
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