Cyberspace
Widmung.«
»Hab's noch nicht gesehn.«
»Hat sie schon versucht anzurufen?«
»Nein.«
»Wird sie noch.«
»Rubin, sie ist tot. Schon eingeäschert.«
»Ich weiß«, sagte er. »Aber sie wird dich anrufen.«
*RPL
Wo hört *RPL auf und fängt die Welt an? Den Japanern war schon vor einem Jahrhundert der
Platz für *RPL um Tokio ausgegangen, so daß sie den Entschluß faßten, aus *RPL Platz zu
schaffen. Bis 1969 hatten sie sich in der Bucht von Tokio drei Inselchen aus *RPL gebaut und Dream Island genannt. Aber nach wie vor produzierte die Stadt täglich 9000 Tonnen, so daß anschließend New Dream Island geschaffen wurde; heutzutage ist das Verfahren einheitlich
gestaltet, so daß sich neue Nippons aus dem Pazifik erheben. Rubin verfolgt das in den
Nachrichten und sagt kein Wort dazu.
Er hat nichts zu sagen über *RPL Es ist sein Medium, die Luft, die er atmet, die Welle, auf der er sein Leben lang geschwommen ist. Er kreuzt durch Greater Van in einem lahmen Transporter, einem abgetakelten, altertümlichen Mercedes-Airporter, dessen Dach unter einem bauchigen
Gummiballon verschwindet, der halb mit Biogas gefüllt ist. Rubin sucht geeignetes Zeug für die sonderbaren Pläne, die ihm das, was ihm als Muse dient, auf die innere Stirn kritzelt. Immer mehr *RPL schleppt er an. Manches davon funktioniert noch. Anderes ist, wie Lise,
menschlichen Ursprungs.
Ich traf Lise auf einer von Rubins Parties. Rubin gab viele Parties. Ihm selbst schienen sie nie besonders zu gefallen, aber es waren tolle Parties. Ich verlor in jenem Herbst den Überblick, wie oft ich auf der Schaumstoffmatte aufwachte, wenn Rubins antike Espressomaschine, ein dumpfes Ungetüm mit einem imposanten Chromadler obenauf, mächtig zu prusten anfing, was unerhört
von den Wellblechwänden widerhallte, aber auch etwas ungeheuer Anheimelndes an sich hatte: Es gab Kaffee. Das Leben ging weiter.
Zum ersten Mal sah ich sie in der Küchenzone. Man würde nicht unbedingt von einer Küche
sprechen; nur drei Kühlschränke, eine Ofenplatte und ein kaputter Warmluftherd, der als *RPL
hinzugekommen war. Ich sah sie zum ersten Mal am offenen Nur-Bier-Kühlschrank. Licht fiel heraus, und ich bemerkte ihre Wangenknochen und den entschlossenen Ausdruck ihrer Lippen, bemerkte aber auch das schwarzglänzende Polykarbonat an ihrem Handgelenk und die helle,
nässende Blase, wo das Hautskelett scheuerte. In meinem Suff konnte ich das nicht verarbeiten, checkte nicht, was es war, wußte aber, daß die Party vorbei war. Also tat ich, was jeder
normalerweise gegenüber Lise tut und wechselte auf ein anderes Programm. Ging statt dessen zum Wein auf der Theke neben dem Warmluftherd. Blickte nicht mehr um.
Aber sie fand mich wieder. Ging zwei Stunden später auf mich zu, schwebte durch die Leute und den Unrat mit dieser schrecklichen Anmut, die sie in das Hautskelett einprogrammiert hatten. Ich checkte, was es war, als. ich sie auf mich zukommen sah, war aber zu verlegen, um
unterzutauchen, davonzurennen, eine Entschuldigung zu faseln und mich aus dem Staub zu
machen. Stand da wie angewurzelt, den Arm um ein Mädchen geschlungen, das ich nicht kannte, während Lise zu mir ging - JHJDQJHQ ZXUGH mit ihrer hämischen Anmut. Schnurstracks hielt sie auf mich zu. Wizz leuchtete aus ihren Augen. Das Mädchen hatte sich aus meinem Arm gelöst und war, peinlich berührt, unauffällig verschwunden. Lise baute sich in ihrer dünnen
Polykarbonat-Prothese vor mir auf. Ich schaute in diese Augen und hatte das Gefühl, das
Wimmern ihrer Synapsen zu hören, das unwahrscheinlich schrille Kreischen, als das Wizz
jeden Schaltkreis in ihrem Hirn öffnete.
»Nimm mich mit heim«, sagte sie, und die Silben trafen mich wie ein Peitschenhieb. Ich glaube, ich habe den Kopf geschüttelt. »Nimm mich mit heim.« Es war auf eine Art schmerzhaft, subtil und ungeheuer grausam.
Und ich wußte somit, daß ich noch nie so gründlich und innig gehaßt worden war, wie diese öde Puppe mich jetzt dafür haßte, daß ich sie neben Rubins Nur-Bier-Kühlschrank auf diese Art angeschaut und dann weggeschaut hatte.
Also habe ich - wenn man so sagen kann - getan, was man tut, ohne zu wissen warum, obwohl man ahnt, daß man nie anders hätte handeln können.
Ich habe sie mit heim genommen.
Zwei Zimmer habe ich in einem alten ETW-Block, Ecke Fourth und MacDonald, zehnter Stock.
Die Aufzüge gehen normalerweise, und wenn man sich aufs Balkongeländer setzt, an der Ecke des Nachbarhauses
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