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Cyberspace

Cyberspace

Titel: Cyberspace Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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festhält und hinauslehnt, sieht man einen schmalen, vertikalen Streifen Meer und Gebirge.
    Sie hatte den ganzen Weg von Rubins Laden kein Wort gesagt, und ich war inzwischen
    einigermaßen nüchtern geworden, so daß ich mich sehr unwohl fühlte, als ich die Tür auf schloß und sie reinließ.
    Das erste, was ihr auffiel, war das tragbare Fast-wipe-Modul, das ich in der Nacht zuvor von Pilot mitgebracht hatte. Das Hautskelett trug sie über den staubigen Teppich im selben Gang, dem Gang eines Models auf dem Laufsteg. Ohne den Lärm der Party hörte ich jetzt, wie es beim Bewegen leise klickte. Da stand sie nun und betrachtete das Fast-wipe. Ich konnte die Rippen erkennen, als sie so dastand; sie zeichneten sich am Rücken durch das abgenutzte, schwarze Leder ihrer Jacke ab. Eine dieser Krankheiten. Entweder eine der alten, die sie nie ganz
    durchschaut haben, oder eine der neuen, unverkennbar umweltbedingten, für die sie noch keinen Namen hatten. Sie konnte sich nicht bewegen ohne das zusätzliche Skelett, das direkt mit ihrem Gehirn gekoppelt war. Myoelektrisches Interface. Die fragil wirkenden Polykarbonatstützen bewegten ihre Arme und Beine, die schmalen Hände hingegen wurden durch ein feineres System gesteuert. Galvanische Einlagen. Ich dachte an zuckende Froschbeine in irgendeinem
    Hochschullabor und haßte mich dafür.
    »Das ist ein Fast-wipe-Modul«, sagte sie in einem Ton, den ich noch nicht gehört hatte, der entrückt klang, so daß ich annahm, das Wizz klinge vielleicht gerade ab. »Was hat das hier zu suchen?«
    »Ich redigiere damit«, sagte ich, während ich die Tür hinter mir zuzog.
    »Soso.« Sie lachte. »Tatsächlich? - Wo?«
    »Auf der Insel. Autonomie Pilot heißt der Laden.«
    Sie wandte sich um; drehte sich, die Hände in die vorgeschobenen Hüften gestützt, mir zu -
    wurde gedreht. Das Wizz und der Haß und eine schreckliche Parodie von Lust schössen mir aus den ausgebleichten, grauen Augen entgegen. »Willst du's mir machen, Redakteur?«
    Und wieder spürte ich die Peitsche, aber wollte das nicht hinnehmen, nicht noch einmal. Also sah ich sie kühl an, musterte sie aus dem bierseligen Innern meines gehenden, sprechenden,
    kunstgliederlosen und ganz normalen Körpers, und die Silben kamen mir wie Spucke über die Lippen: »Würdest du es spüren, wenn ich's mache?«
    Geschlagen. Vielleicht blinzelte sie, das Gesicht aber zeigte keine Regung. »Nein«, sagte sie,
    »aber ich schau manchmal gern zu.«
    Rubin steht zwei Tage nach ihrem Tod am Fenster und beobachtet, wie der Schnee in den False Creek fällt. »Bist also nie mit ihr ins Bett gegangen?«
    Eine seiner neckischen, kleinen, kugelgelagerten Escher-Echsen flitzt in Ringelmanier vor mir über den Tisch.
    »Nein«, sage ich, und das stimmt. Dann lache ich. »Aber wir haben eingesteckt. Gleich in der ersten Nacht.«
    »Warst verrückt«, sagt er mit einem billigenden Unterton. »Das hätte dich umbringen können.
    Dein Herz hätte stehenbleiben können, deine Atmung ...« Er kehrte sich wieder dem Fenster zu.
    »Hat sie schon angerufen?«
    Wir haben eingesteckt.
    Ich hatte das noch nie getan. Wenn mich einer gefragt hätte, dann hätte ich zur Antwort gegeben, daß ich Redakteur sei und daß ein Profi so was nicht mache.
    Die Wahrheit sähe eher so aus.
    In der Branche, der legitimen Branche - Pornos hab ich nie gemacht - nennen wir das Rohprodukt trocknen Traum. Der trockne Traum ist das, was das Nervensystem auf einer Bewußtseinsstufe hergibt, zu der die meisten nur im Schlaf Zugang haben. Künstler hingegen - solche, mit denen ich bei Autonomie Pilot arbeite -sind in der Lage, die Oberflächenspannung zu durchbrechen und einzutauchen; sie tauchen tief und weit hinaus, hinaus ins Jungsche Meer, und bringen - nun, Träume mit. Ganz einfach. Ich schätze, das haben manche Künstler schon immer getan, ganz
    gleich in welchem Medium; die Neuroelektronik jedoch erlaubt uns, das Erlebte zu sichten, und das Netz schafft's hoch und packt es auf den Draht, so daß wir es bündeln und verkaufen und beobachten können, wie es sich auf dem Markt verhält. Nun, je mehr sich die Dinge ändern ...
    Diesen Spruch hat mein Vater gern von sich gegeben.
    Für gewöhnlich bekomme ich das Rohmaterial unter Studiobedingungen, wo es durch Gerät
    gefiltert wird, das ein paar Millionen Dollar wert ist. Ich brauche den Künstler gar nicht zu sehen. Das Zeug, das wir dem Konsumenten vorsetzen, ist gegliedert, abgewogen, künstlerisch aufbereitet. Es gibt

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