Cyboria - Die geheime Stadt
… am Tor.«
»Ich weiß, Otto, ich weiß.«
»Der hat auf mich gewartet.«
»Vielleicht bist du in der Villa Folgore nicht sicher.«
»Das befürchte ich auch.«
»Dann kommst du mit zu mir.« Medea öffnete die Beifahrertür, klappte den Sitz nach vorne und ließ Otto und Galeno auf die schmale Rückbank klettern.
»Dieses Blechgestell kann nicht einfach so in mein Auto … Das geht doch nicht …«
Aber Galeno stieg ein, ohne auch nur den kleinsten Kratzer zu verursachen. Der Mann am Steuer verstummte.
»Er ist tatsächlich drin«, stellte er nur verblüfft fest.
Medea fuhr sich nervös durch die Haare. »Was macht man nur in solchen Fällen?«, fragte sie flüsternd.
Niemand antwortete.
Die Grillen zirpten wie verrückt. Der schwarze Riese musste auf der Lauer liegen, irgendwo da draußen, ganz in der Nähe.
Otto sah zum Himmel. Kein Stern war mehr zu sehen. Er ließ sich in die Lederpolster sinken und zwang sich, ruhig zu atmen. Aus seiner Hosentasche und aus der Öffnung in Galenos Brustbein schimmerte pulsierendes bläuliches Licht. »Ich will nicht nach Hause …«, sagte Otto mit matter Stimme.
Medea drehte sich zu ihm um. Selbst in der Dunkelheit leuchteten ihre Augen. Sie nickte. »Einverstanden. Jago, dreh bitte um. Dort vorne muss eine Wendebucht sein.«
Jago legte den ersten Gang ein.
»Wir fahren in Richtung Stadt«, entschied Tante Medea ohne weiter nachzudenken.
2
Die binäre Sprache
D ann schieß mal los … Du musst wohl der Wunderneffe sein …«, sagte Jago etwas später, als sie am Bahnhof von Pisa in der Parkzone standen.
Sie hatten einen etwas abgelegenen Platz gefunden, ganz in der Nähe der Springbrunnen.
Otto nickte, sagte jedoch nichts. Obwohl Jago versuchte nett zu sein, traute Otto ihm nicht. Sein Oberlippenbart zuckte irgendwie verdächtig, aber vielleicht war das auch nur ein Tick.
»Deine Tante hat mir schon viel von dir erzählt. Ich freue mich, dass ich dich endlich persönlich kennenlerne. Und jetzt hast du mir sogar noch deinen neuen … Freund … vorgestellt.«
»Freund?« , fragte Galeno, der plötzlich wieder hellwach war. »Ein Freund ist …«
Während der Roboter monoton die Definition herunterleierte, die er vor Kurzem über Freundschaft gehört hatte, schloss Otto die Augen. Er hatte jedes Zeitgefühl verloren. Als er sie wieder öffnete, blickte er durch die Windschutzscheibe auf das beleuchtete Telefonhäuschen, in das Tante Medea gerade verschwunden war.
Er versuchte sich das Gespräch vorzustellen: Medea erklärte seinen Eltern, warum er noch nicht zu Hause war, und versuchte ihnen vor allem nahezubringen, warum er auch morgen nicht nach Hause kommen würde. Was würde sie sich wohl ausdenken?
Medea hielt den Hörer ans Ohr, dann nickte sie, hielt den Hörer von sich weg, dann wieder ans Ohr, sprach lebhaft ins Telefon, hob und senkte den Arm. Diese Prozedur wiederholte sie mehrmals und hängte schließlich ein.
Ein Zug fuhr vorbei.
»Entschuldige …« Jago gab schließlich auf. »Du hast keine Lust zu reden.«
»Ja«, sagte Otto, »es tut mir leid.«
»Kein Problem.«
Medea setzte sich wieder ins Auto.
»Wie ist es gelaufen?«
»Gut, aber erst, als ich mit deinem Vater sprechen konnte.«
»Also?«, fragte Jago.
»Ottos Eltern sind einverstanden. Ich habe ihnen erzählt, dass wir einige Tage ans Meer fahren.«
»Ans Meer?«
»Ja, nach Capraia. Dort wohnt eine Freundin von mir, die Ferienhäuser vermietet. Ich meine … Ich meine, wir sollten es wirklich tun. Zu mir nach Hause können wir nicht, das ist wahrscheinlich zu gefährlich.«
»Ich bringe euch erst mal in ein ruhiges Hotel«, schlug Jago vor und startete den Motor, »zu mir nach Hause können wir nämlich auch nicht. Ich wohne bei meinem Vater.«
»Du hast mir gar nicht erzählt, dass du bei deinem Vater lebst.«
»Du hast mich nie danach gefragt.«
Wieder kam ein Zug vorbei.
Galeno sah dem Zug nach, dessen Lichter die Dunkelheit jenseits der Sperrmauer zu den Gleisen durchschnitten. Sein spitz zulaufender Kopf bewegte sich ein wenig, die zwei winzigen Membranen auf den Glasaugen leuchteten kurz auf. »Galeno … kennt diesen Ort«, sagte er und fügte dann hinzu: »Bitte warten.«
Er schlüpfte aus dem Auto und ging auf die Gleise zu.
»Galeno?«, rief Otto. »Wo willst du hin?«
Der Roboter ging einfach weiter, er schwankte hin und her. »Galeno ruft …«
Ticken. Klackern. Diesmal brauchte er nicht lange, um das richtige Wort zu finden. »Galeno ruft seine
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