Cynster 07 - Nur mit deinen Kuessen
Zinnen des nahe gelegenen Turmes.
Binnen weniger Sekunden hatte er das Haus erreicht und rannte die Flure entlang zur Treppe, die zum Turm führte. Vernunft war an die Stelle von Angst getreten. Die Zigeunerin war weder schwach noch zerbrechlich. Was dachte er sich nur?
Er erklomm die Stufen und bemühte sich nicht einmal, leise zu sein. Er wusste, dass die Zinnen ziemlich sicher waren, aber er wollte sie nicht erschrecken, wenn er so plötzlich neben ihr auftauchte.
Einen Arm um das Mauerwerk gelegt, lehnte sie auf den Zinnen und sah zum Park hinüber. Sie wandte ihren Kopf, als er die Tür zum Turm öffnete und auf den Holzgang trat. Er hatte den Eindruck, dass sie ganz und gar nicht schockiert und nicht einmal überrascht war, ihn zu sehen.
Ganz im Gegensatz zu ihm.
Er hatte sie noch nie in einem gewöhnlichen Kleid gesehen, so wie er sie jeden Tag für den Rest seines Lebens sehen würde. Er nahm den Anblick des einfachen Kleides in sich auf und bemerkte, dass es ihren Charme liebevoll zur Geltung brachte, sah das weiche Material, das ihre Hüften und Schenkel umschmeichelte, sowie den Volant, der ihre Fesseln umspielte, und sah den Körper, den das Kleid verhüllte, den üppigen Körper, den er die ganze Nacht genossen hatte.
Die schwarzen Locken waren hoch auf ihrem Kopf aufgetürmt und fielen über ihre Ohren und den Nacken, ihre Augen mit dem dichten Wimpernkranz waren groß und lebhaft. Er sah ihre Lippenpracht und fragte sich, was er wohl getan oder gesagt hätte, wie er reagiert hätte, wenn er sie vor seiner Heirat nicht so gesehen hätte. Er zweifelte an seinem Verstand, dass er sie geheiratet hatte.
Und er wusste, dass er es nicht anders haben wollte.
»Ich habe mich schon gefragt, wo du bist.« Er ging auf sie zu und blieb einen Meter vor ihr stehen.
Sie warf einen Blick zurück auf die Baumwipfel. »Ich bin hier raufgekommen, um den Ausblick und die frische Luft zu genießen.« Dann fügte sie hinzu: »Dies ist ein guter Ort, um nachzudenken.«
Er war sich nicht sicher, ob er wollte, dass sie nachdachte, und wahrscheinlich würde ihm das, was sie dachte, auch nicht besonders zusagen.
»Das Anwesen liegt mehr in östliche und westliche Richtung, vermute ich.«
»Ja, der Steilhang bildet die nördliche Grenze.«
»Und das Gatting-Anwesen liegt im Osten?«
»Im Südosten.« Er hielt inne, dann fügte er hinzu: »Wir können irgendwann einmal dorthin fahren, wenn du willst.«
Sie neigte den Kopf und deutete auf einen silbrigen Schimmer in der Ferne, der den Verlauf des Flusses kennzeichnete. »War die Brücke, die weggespült wurde, dort drüben?«
»Etwas weiter flussaufwärts.«
»Ist sie total zerstört?«
»Der größte Teil ist zerstört. Ein Brückenbogen steht noch, er ist aber nicht sehr stabil. Wir müssen sie neu aufbauen, aber in der Zwischenzeit transportiert ein Flaschenzug die zum Leben notwendigen Dinge zu den umliegenden Farmen. Ich sollte nachsehen, ob schon Fortschritte gemacht worden sind, vielleicht später am Tag, nachdem die anderen abgereist sind.«
Langsam setzte sie sich in Bewegung und ließ ihre Finger an den Steinen entlangfahren. Er folgte ihr, ebenfalls gemä ßigten Schrittes, während sie um den Turm herumging.
»Wie viele ›andere‹ sind denn noch hier und wer?«
»Das sind hauptsächlich Verwandte, die zu alt sind, um unmittelbar nach einem Fest aufzubrechen. Sie werden heute Nachmittag abreisen. Dein Onkel ist selbstverständlich noch da. Er will eine andere Strecke zurückfahren und noch vor dem Mittagessen aufbrechen. Devil und Honoria sind bereits gestern Abend abgereist, sie haben mich gebeten, dir zu sagen, dass sie so schnell wie möglich zurückfahren wollten, weil ihr Kind noch so klein ist.«
Devil war auf ihn gestoßen, als er aus dem Ballsaal kam, und hatte ihm nur ein einziges Wort zugeflüstert: Feigling . Dabei hatte er jedoch gezwinkert und daraufhin einen von Gyles’ Onkeln abgefangen, der ihm gerade ein Ohr abschwatzen wollte, und ihm erlaubt, ungehindert zu entkommen.
»Ja, das hat Honoria mir schon erzählt.« Francesca blickte über ihre Schulter und sah Gyles kurz in die Augen. »Sie hat uns eingeladen, sie in Somersham zu besuchen.«
»Wir werden wahrscheinlich Ende des Jahres einmal dort hinfahren. Wir werden sie mit Sicherheit auch in der Stadt treffen.«
»Kennst du Devil schon lange?«
»Seit Eton.«
Sie ging weiter; er sah nur ihren Rücken und fragte sich, was sie mit dieser Frage beabsichtigte. Er wunderte sich,
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