Cyrion
sich vorgestellt hatte, ausgetauscht und wieder ausgetauscht... Dann gab es ein Handgemenge, und Mevary zwang Roilant, aus dem einen, vorbestimmten Becher zu trinken.
Es war nicht das Gift, das sie benutzt hatte, um Jobel zum Schweigen zu bringen. Nach Mevarys Bericht über Jobels Beobachtungen war es darauf angekommen, daß der alte Mann eines natürlichen, wenn auch unangenehmen Todes starb. Was Roilant betraf, sein Tod sollte alles andere als natürlich aussehen. Das Mittel, das sie ihm bestimmt hatte, war eine Säure, die die Gedärme zerfraß. Sie hatte sich darauf gefreut, seine Schreie zu hören. Seltsamerweise gab es nur einen und ziemlich gedämpft. Das betrübte sie, aber trotzdem freute sie sich über seinen Tod. Sie war in die Dunkelheit hinabgestiegen, um Tabbit davon zu berichten. Dann, in der Abgeschlossenheit ihrer Kammer, hatte Valia vor Freude geweint, wie sie damals freudige Tränen über dem Grab des verhaßten Gerris vergossen hatte. Oh, sie würde die Zeichen ihrer Macht in der Welt zurücklassen, wie die Krallenspuren einer Tigerin.
Aber dann. Dann erfuhr sie, daß sie es gar nicht mit Roilant zu tun gehabt hatte. Daß sie ihn nicht genarrt, geängstigt, umgarnt, getötet hatte. Daß sie vielleicht überhaupt niemanden getötet hatte.
Angst vor den Rädern des Schicksals, die von der vorgezeichneten Spur abgekommen waren, überwältigte sie. Was war jetzt zu tun?
Mevary löste dieses Problem.
Er schlug vor, Roilant und seinen Leibwächtern ein
Schlafmittel zu verabreichen. Er wußte von ihrem Geschick im Umgang mit Trunken und Pulvern. Vor kurzer Zeit erst hatte sie ja auch Roilant - der gar nicht Roilant war - betäubt. Mit einer gelben Rose, als Elisets schriftliche Nachricht einen so günstigen Vorwand für die Überreichung einer Blume geliefert hatte.
Als Roilants Männer unschädlich gemacht waren, hatte Mevary ihr mitgeteilt, daß er fliehen wollte. Er war nur um Haaresbreite von einer Anklage wegen Mordes an Roilants Beauftragtem entfernt und war doch unschuldig - Valias Rat, den Leichnam zu verstecken, hatte unangenehme Folgen gehabt. Es hatte Mühe gekostet, ihn davon zu überzeugen, daß die Hexen ihn nicht entwendet hatten. Außerdem tat Eliset ihr Bestes, um Mevary dem Gesetz in die Arme zu treiben. Mevary hatte sie für harmlos gehalten, wie Valia auch. Sie hatte vorher nie auch nur einen Funken von Aufsässigkeit erkennen lassen. Sie waren beide ein wenig erstaunt über diese gänzlich neue selbstmörderische Veranlagung, die darauf abzuzielen schien, sowohl sich selbst als auch Mevary vor den Statthalter zu bringen.
Aber Mevary durfte nicht verschwinden, Valia erinnerte ihn an den Schatz. Woraufhin Mevary beschloß, die alten Frauen in der Grotte zur Herausgabe des Goldes zu zwingen und es auf seiner Flucht mitzunehmen. Die Hexe in Valia hatte sich dagegen gewehrt - wieder kam der Zwiespalt in ihrer Persönlichkeit zum Ausdruck. Die Zeit für die Opferung war noch nicht gekommen, die Zeremonien noch nicht abgeschlossen. Dann kam ihr, wie Tabbit, der Gedanke, daß ein Opfer zur falschen Zeit besser war als gar keins. Und außerdem, schrie ihr anderes Ich in Valias Herz und brachte die Priesterin zum Schweigen, was kümmerte es sie, solange dieses verhaßte, schöne Tier, das die abartigen Träume ihrer Jugend genährt hatte, eines blutigen Todes starb? Was kümmerte sie die Zeit!
Valia trat vor, und die Hexen umringten sie. In dem Schutz ihrer graugekleideten Gestalten legte sie ihre Männerkleidung ab und schlüpfte in ihr Gewand, das so fleckig und zerschlissen war wie das der anderen Frauen. Sie verabscheute den Geruch, wie sie auch vor den Ausdünstungen der seit Jahrzehnten ungewaschenen Körper zurückzuckte. Und doch war es wie eine Heimkehr. Der Geruch vermittelte ihr ein Gefühl der Geborgenheit. Sie würde ihn vermissen, in dem duftenden, herrlichen Leben, das vor ihr lag.
Noch während sie das Gewand anlegte, wanderten ihre Gedanken über das bevorstehende Opfer hinaus zu ihrer Flucht durch den Brunnenschacht. Jede noch so weit hergeholte Ausrede - alles - würde es ihr ermöglichen, nach dem Ritual fortzugehen. Erst wenn sie nicht zurückkehrte, würden sie erkennen, daß sie endlich frei war, auch von ihren Schwestern. Oder vielleicht glaubten sie, sie sei gestorben. Aber natürlich würde sie nicht sterben. Valia hatte alles getan, daß auch nicht der Schatten eines Verdachts auf sie fallen konnte. Niemand würde bezweifeln, daß die Familie sich
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