Da gewöhnze dich dran
gemacht.»
«Du hast dir also Gedanken gemacht.»
«So meinte ich das nicht. Ich meine nur, dass du das mal hättest erwähnen können.»
«Ein bisschen was musst du auch selbst rausfinden.» Sie wirft ihre Kippe auf den Boden und tritt sie aus.
Alina kommt aus der Halle, gibt Schnecke einen scheuen Kuss und lässt ihre Tasche auf die Erde fallen. «Was ist? Schlechte Stimmung?»
«Ach», sagt Schnecke. «Bunke mal wieder. Ziert sich wie ’ne Nageldesignerin vorm Fliesenverlegen, wenn’s um die Weiber geht.»
«Das ist nix Neues», kommentiert Alina, und zu mir: «Hast du am Sonntag Zeit? Wir haben in der Kabine überlegt, dass wir in der Soccerhalle ein bisschen Fussek zocken und danach bei Schnecke und mir grillen.»
Ich schüttele den Kopf. «Tut mir leid. Meine Oma hat Geburtstag, ich muss ins Sauerland. Kaffeeklatsch mit den Tanten.»
«Faltenkongress bei der Omse, verstehe. Muss auch mal sein.»
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Kalter Busen
Meine Großmutter mütterlicherseits, oder wie wir in der Familie sagen: Unsaomma, ist eine Frau Anfang neunzig, die seit sechs Jahren in einem Altersheim mit Aussicht auf den Sorpesee wohnt. Dort verbringt sie Tag um Tag in einem mit braunem Flausch ausgekleideten elektrischen Polstersessel, der sie beim Aufstehen aus dem Sitz schubst und ihr in Mußestunden die Füße hochlegt. In ihrem sommers wie winters auf 26 Grad erwärmten, säuerlich nach Molton-Einlagen und Kamillentee duftenden Zimmerchen isst sie mit Wonne Mohnkuchen, begutachtet mit einem erklecklichen Sinn für modische Stimmigkeit die Garderobe der Nachrichten-Sprecherinnen und lauscht dem aus einem alten Kassettenradio dröhnenden Gesang fröhlicher Musikantengruppen, während aus der Höhe angedübelter Bücherregale eine Armee von Porzellanbuben und -mädchen gütig auf sie hinabblickt. Mehrmals am Tag sinkt ihr kleiner, ovaler Kopf bedächtig auf ihre perlenbehangene Brust, ihr Gebiss löst sich klackernd aus der Verankerung, rutscht auf ihre entspannt herabhängende Unterlippe, und sie beginnt röchelnd zu schnarchen, bis sie, durch eine unsichtbare Kraft erweckt, ihre Zähne wieder einsaugt und sich mit gichtgekrümmten Fingern den schmerzenden Nacken reibt.
Trotz der beschaulichen Umgebung inmitten des Naturparks hat sie seit zehn Jahren kaum einen Schritt vor die Tür getan. Ein Spaziergang, findet Unsaomma, lohne in ihrem Alter und ihrem Zustand nicht mehr, schließlich könne der Sensenmann jeden Augenblick neben ihr stehen, da tue frische Luft nicht not. Außerdem genüge es zum Zwecke der Sauerstoffzufuhr, das Fenster zu öffnen, so laufe sie auch nicht Gefahr, namenlos im öffentlichen Raum zu versterben und auf ihrem letzten Gang Unbeteiligten noch Umstände zu bereiten, weil diese sie und ihr Gehwägelchen dann mühselig wegschaffen müssten. Jeden Morgen, wenn sie aufwacht und mit ihren trüben, makuladegenerierten Augen das Morgenlicht durch die mit Kondenswasser benetzten Scheiben sickern sieht, ist sie aufs Neue traurig, dass ihr Ableben sich noch nicht eingestellt hat. Allein ihre innige Liebe zum europäischen Hochadel verleiht ihrem Leben Sinn.
Als ich ihr Zimmerchen betrete, sieht sie seltsam abgezehrt aus. Ihr Mund ist eingefallen. Sie schmatzt mit hohlen Wangen an einem gestippten Keks. Mutter sitzt neben ihr auf dem Sofa.
«Hallo, Omma», sage ich, «herzlichen Glückwunsch! Was ist mit deinen Zähnen passiert?»
Sie hält inne und schaut mich mit den Augen eines frischgeschlüpften Rehkitzes an. «Die Schähne schin mir inni Doiledde gechfallen.»
Ich blicke sie an. «Das ist doch ein Witz», sage ich und schaue zu Mutter. Aber Unsaomma lacht nicht. Mutter lacht auch nicht.
«Näää», sagt Omma stattdessen, «kein Witsch. Ich hab mir die Buksche hochgeschogen und misch umdrehd, um abschudrücken, da isch mir dasch Gebiss insch Klo gechfallen.»
«Hast du denn sofort die Spülung gedrückt?»
Sie habe sogar noch nachgefasst, aber sie könne sich ja so schlecht bücken. Und als sie sich für besseren Halt auf dem Spülkasten abstützte, sei plötzlich die Spülung gegangen. Da sei es eben weg gewesen, das Gebiss. Aber nur oben. Unten sei noch am Start. Ich muss lachen: So etwas gibt es doch nur in Comedy-Shows.
Unsaomma guckt bedröppelt, stippt ihren Keks in einen Becher Kaffee und saugt die Flüssigkeit aus den Krümeln. Ich gebe ihr mein Geschenk: ein Paar neue Pantoffeln. Versonnen fummelt Unsaomma das Geschenkpapier vom Schuhkarton, öffnet den Deckel und sagt
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