Da muss man durch
und scheint unschlüssig, ob er mein Angebot annehmen soll.
«Sie machen das aber nicht, weil Sie glauben, mir etwas schuldig zu sein, oder?»
Ich stutze. Warum? Weil ich mit Iris geschlafen habe? Ach wo.
«Nein. Ehrlich gesagt gefällt mir das Büro nicht besonders.»
Timothy schweigt nachdenklich. Ich hoffe sehr, dass |124| er über die Büroeinrichtung sinniert und nicht über den Fehltritt seiner Frau. Meinetwegen müssen wir über diese Angelegenheit
kein Wort verlieren.
Gib dir einen Ruck, Timothy, und halt einfach deinen Mund.
«Ich weiß von der Sache mit Ihnen und Iris», bemerkt er sachlich.
Warum können manche Leute ihre Klappe nicht halten?
«Es ist nicht nötig …», beginne ich, unterbreche mich aber selbst, um einen neuen Anlauf zu machen. «Ich meine, warum sollen wir …?»
«Warum ich Ihnen das sage?», erwidert Timothy. «Sie werden wahrscheinlich sowieso erfahren, dass ich es weiß. Und ich möchte
nicht, dass Sie mir dann unterstellen, Privates und Berufliches zu vermischen. Sollten Sie als Vorstandschef Fehler machen,
werde ich Sie dafür zur Verantwortung ziehen, und zwar nicht, weil Sie was mit meiner Frau hatten, sondern allein deshalb,
weil es mein Job ist.»
Ich finde, dass wir gerade munter dabei sind, Privates und Berufliches zu vermischen, und glaube auch nicht, dass man
das sauber trennen kann. Mir steht aber überhaupt nicht der Sinn danach, mit Timothy darüber zu diskutieren. Also nicke ich
einfach.
«Wenn Sie mir jetzt immer noch das Büro geben wollen, dann nehme ich es gern», sagt Timothy in leicht provozierendem Tonfall
und sieht mir direkt in die Augen.
«Nehmen Sie es», erwidere ich. «Und wo Sie gerade hier sind, können Sie mir helfen, eine neue Vorstandssekretärin auszusuchen.
Sie wird sowieso hier das Vorzimmer beziehen, weil bei Raakers kein Platz ist.»
Ich sehe, dass Timothy sein Erstaunen über meine gelassene |125| Reaktion zu verbergen versucht. Ausnahmsweise mal ein Punkt für mich, Sportsmann.
Aki Bashi ist eine Deutsch-Asiatin mit raspelkurzen Haaren und einer gepiercten Zunge. Sie spricht vier Sprachen, hat in
New York studiert und zwei Jahre im Ausland gearbeitet. Eigentlich könnte sie gut meinen Job übernehmen, während ich mich
zur Sekretärin ausbilden lasse.
Schon als Personalchef hat mich regelmäßig frustriert, dass blutjunge Leute in wenigen Jahren mehr Wissen und Erfahrung sammeln,
als man früher in einem ganzen Berufsleben zusammengekratzt hat. Mein Glück, dass in unserer überalterten Gesellschaft die
Alten zusammenhalten.
Obwohl ich mich aus rein egoistischen Gründen eigentlich ungern mit Leuten umgebe, die mir in ein paar Jahren den Job wegnehmen
werden, fällt meine Wahl auf Aki Bashi. Sie scheint nicht nur organisationsstark und effizient zu sein, sondern könnte auch
Ideen entwickeln, um unser verschnarchtes Mutterblatt für junge Zielgruppen attraktiver zu machen. In weniger als einem Jahr
müsste sie alle Abteilungen durchlaufen haben und wäre dann die perfekte Vorstandsassistentin.
Timothy möchte Ellen Preez den Job geben. Sie ist Anfang dreißig, trägt ein adrettes graues Kostüm und hat nach einer soliden
Ausbildung in einem Pharmakonzern rund zehn Jahre als Chefsekretärin bei einer Bank gearbeitet. Die wird gerade umstrukturiert,
weil einige Obdachlose nicht genug Geld zusammenbetteln konnten, um ihre Ratenkredite für Luxusimmobilien in Miami zu bedienen.
Derweil die arglistig getäuschten Banker noch um ihre Bonuszahlungen kämpfen, hat Frau Preez das Unternehmen |126| ohne Abfindung verlassen. «Aus moralischen Gründen», wie sie sagt.
Timothy scheint das zu imponieren.
Irma Dahlen steht nicht mehr auf unserer Liste. Die Privatdozentin für Soziologie hat durchblicken lassen, dass der Job als
Sekretärin eigentlich unter ihrer Würde ist. Läge unser Bildungssystem nicht am Boden, hätte Frau Dahlen nach eigener Meinung
längst eine Professur inne. Aber da die Zeiten schlecht sind, muss sie sich nach Alternativen umsehen.
Frau Dahlens erste Fragen galten dem Gehalt, der Weihnachtsgratifikation und der Länge des Jahresurlaubs. Sie braucht einen
ruhigen Arbeitsplatz, weil sie geräuschempfindlich ist, sowie einen rückenschonenden Schreibtischstuhl und eine spezielle
Computertastatur. Freitags würde sie gern grundsätzlich nicht kommen, weil sie eine wissenschaftliche Arbeit über die soziale
Stellung der Wanderarbeiter im ausgehenden Mittelalter
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