Da muss man durch
Obst und Gemüse werden zermatscht. Wein, Essig und Öl spritzen umher. Antiquitäten und
Souvenirs gehen zu Bruch. Alles, was nicht zerbrechen kann, landet in einer unappetitlichen Pampe aus mallorquinischen Spezialitäten.
Die entsetzten Wochenmarktbesucher flüchten panisch in die ohnehin mit Menschen vollgestopften Quergassen, wo es nun zu Tumulten
kommt, weil die Flüchtenden weitere Stände mit sich reißen. Gackernde Hühner suchen hektisch flatternd das Weite, eine riesige
Voliere geht zu Bruch, und Dutzende Singvögel nehmen zirpend Reißaus. Überall hört man Rufe und Flüche, in der Ferne ist
eine Polizeisirene zu hören.
Ich schaffe es, mich durch die Menschenmenge zu drängen, um Fred den Weg abzuschneiden, doch der schlägt einen Haken und
springt mit dem Mut der Verzweiflung über die Auslagen eine Textilstandes. Rollator und Klapptisch |224| verkanten sich in den Aufbauten, und Fred wird unsanft zurückgerissen. Für eine Sekunde hoffe ich, dass der Spuk vorbei
ist, doch Fred kämpft wie ein Löwe gegen das Gewicht an seiner Leine und zerrt den gesamten Textilstand mit zwei, drei ruckartigen
Bewegungen in Richtung Grillimbiss.
«Nein! Fred!», rufe ich panisch, aber da steht der Textilstand auch schon in Flammen. Geistesgegenwärtig zieht der Besitzer
des Grillimbisses einen Feuerlöscher hervor und bringt den Brand glücklicherweise rasch unter Kontrolle. Dabei nebelt er den
halben Marktplatz ein. Jetzt sieht er nicht nur wie ein Schlachtfeld aus, sondern wie ein Schlachtfeld im Pulverdampf.
Ich versuche, Fred im Getümmel zu erspähen, und sehe, dass seine Leine gerissen ist. Wie der Teufel jagt Fred durchs Chaos
und nimmt Kurs auf jene Gasse, in der kurz zuvor der andere Hund verschwunden ist.
Ich sprinte hinterher. Schamski kommt mir entgegengelaufen.
«Ich muss Fred fangen», keuche ich. «Sonst baut er noch mehr Mist.»
«Noch mehr? Wie soll das gehen?», ruft Schamski mir hinterher.
Ich biege in die Gasse ein und werde dabei von einem galoppierenden Pony und einem Bauern, der es einzufangen versucht,
überholt. Keine Spur von Fred. Ich laufe weiter und spähe in die Nebengassen.
Langsam wird die Geräuschkulisse vom Markt leiser. Schließlich bin ich so weit in die Altstadt vorgedrungen, dass Freds Marktchaos
kaum noch zu hören ist.
Ich schaue in eine Gasse, halte inne und traue meinen Augen nicht.
|225| Fred hat den anderen Hund gefunden. Es ist Elisabeth von Beutens preisgekrönter Saluki Maja von Aschaffenburg. Gerade vögeln
Fred und Maja auf offener Straße, als wäre das die selbstverständlichste Sache der Welt. Seufzend lasse ich mich auf einem
Treppenabsatz nieder.
Am Ende der Gasse erscheint nun Elisabeth von Beuten. «Maja?», ruft sie und erstarrt. Sie sieht das mit seiner Orgie beschäftigte
Hunde-Liebespaar, dann fällt ihr Blick auf mich. Eine Weile steht sie nur da.
«Ich werde Sie verklagen, Dr. Schuberth», sagt sie tonlos.
«Sie sind sicher nicht die Einzige», erwidere ich matt.
An der wenig touristischen Westküste von Mallorca gibt es ein sehr gutes und dennoch preiswertes Fischrestaurant. Im Sommer
speist man auf der Promenade unter Tamarindenbäumen, nur einen Steinwurf vom Meer entfernt. Der Wellengang ist hier stärker
als an den anderen Stränden, weshalb sich selten Familien in diese Gegend verirren. Tagsüber bestimmen Surfer und vereinzelte
Yachten das Bild der Küste, abends kehrt Ruhe ein.
Das Restaurant eignet sich für ein romantisches Dinner, ist aber auch eine gute Wahl, wenn man etwas zu feiern hat und dabei
nicht von Touristen umringt sein möchte. Wir haben es ausgewählt, um mit unserem letzten Geld darauf anzustoßen, dass wir
jetzt alle komplett pleite sind.
Nach Freds Amoklauf hatte ich die Wahl, in den Knast zu gehen oder für den Schaden aufzukommen. Ich habe mich für Letzteres
entschieden. Theoretisch bin ich jetzt im Besitz einer riesigen Müllhalde, die früher mal ein Wochenmarkt war. Immerhin wurde
in dem ganzen Chaos niemand ernsthaft verletzt. Am schlimmsten traf es einen |226| britischen Touristen, der sich ein Bein brach. Der Mann war allerdings derart betrunken, dass ihm das nach Ansicht der Sanitäter
auch ohne fremde Hilfe gelungen wäre.
Es blieb nicht aus, dass unser Unglück publik wurde. Die deutschsprachigen Medien auf der Insel sind gewöhnlich damit beschäftigt,
das deutsche und das mallorquinische Wetter zu vergleichen und sich allmorgendlich ausgiebig
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