Dämon
Die Bürde ist zu groß, um sie alleine zu tragen.«
»Ich versuche, nicht daran zu denken«, erwiderte Jefferson und spürte, wie Tränen in ihm aufwallten. »Ich will so weit weg davon sein wie nur möglich. Weg von all den Toten …«
McKenna wiegte ihn in den Armen und zog sein Gesicht zu sich heran, bis er ihren warmen Atem spüren konnte.
»Ich weiß«, sagte sie. »Ich weiß.«
Sie hielt ihn, bis er eingeschlafen war.
Am nächsten Nachmittag, nach einem Mittagessen, bestehend aus russischen Pfannkuchen, stiegen McKenna und Jefferson in ein Taxi zum Kryokow-Museum. St. Petersburg war eine Stadt, die am Wasser gebaut war und sich über zweiundvierzig Inseln erstreckte. Flüsse und Kanäle durchzogen das gesamte Stadtgebiet, ein Netz von Wasserwegen zwischen Gebäuden und Gärten im »Venedig des Ostens«. Das Museum bildete da keine Ausnahme. Das massive Steingebäude stand direkt am Karpovky-Kanal und beherrschte das Straßenbild.
Es war fünf Stockwerke hoch und überragte die umgebenden Dächer. Eine gewaltige Steintreppe führte zu einer Säulenkolonnade hinauf, unter der sich der Eingang befand. Jefferson bezahlte den Fahrer und stieg aus dem Taxi. McKenna folgte ihm. Sie blieb für einen Augenblick stehen und schirmte die Augen gegen die Sonne ab, während sie das Museumsgebäude betrachtete.
»Und wie gehen wir jetzt vor?«, fragte sie. »Marschieren wir einfach rein und fragen, ob wir ihre Skelettsammlung sehen dürfen?«
»Guter Vorschlag.« Jefferson grinste. »Das wäre nicht schlecht. Hi, wir kommen aus Boston und würden gern ein paar Skelette sehen, falls Sie welche haben.«
»Es ist ein riesiges Museum. Wo willst du anfangen?«
»Dr. Wu hat mir erzählt, dass der Kurator des Museums ein Schulkamerad vom ihm gewesen ist«, berichtete Jefferson. »Er wollte anrufen und ihm die Situation erklären. Warten wir’s ab.«
Gemeinsam stiegen sie die breite Steintreppe hinauf. Zwei große Banner hingen rechts und links herab und verkündeten eine neue Ausstellung. Jefferson konnte die russischen Schriftzeichen nicht entziffern, doch er verstand das Datum. Die Banner flatterten im Wind und gaben schnappende Geräusche von sich.
Im Innern des Gebäudes waren sie augenblicklich von feierlicher Stille umgeben. Vor ihnen erstreckte sich ein langer Gang, daneben führte eine runde Treppe hinauf in den ersten Stock. Die Wände bestanden aus weißem Stein und verliehen dem Museum ein Gefühl von Leichtigkeit und Eleganz. Ein Wachmann in brauner Uniform saß hinter einem halbrunden Empfangsschalter im Foyer.
»Sdrastwuitje« , sagte er, als Jefferson und McKenna sich näherten.
»Sdrastwuitje« , antwortete Jefferson. »Pamaguitje pasaluschta?«
»Schto?«
»Ich möchte zu Nikolai Ugriumov«, sagte Jefferson langsam und betonte jede Silbe des Namens. »Ugriumov ist der Kurator des Museums.«
Der Wachmann nickte und griff nach dem Telefonhörer.
McKenna hob die Augenbrauen und sah Jefferson fragend an. »Seit wann kannst du Russisch?«
»Es stand im Reiseführer«, antwortete Jefferson. »Du kannst es selbst nachlesen.«
»Vielleicht tue ich das«, sagte sie. »Ich bin beeindruckt.«
»Nicht nötig. Ich kann nur einen weiteren Satz: ›Wo ist die Toilette?‹« Jefferson trommelte auf den Schalter und blickte sich im Foyer des Museums um. »Scheint so, als würde er kommen.«
Jeffersons Blicke hafteten auf einem kleinen, hageren Mann in einem braunen Anzug, der ihnen zielstrebig durch den langen Korridor entgegenkam. Das Gesicht des Mannes war schmal, ein dünner Bart bedeckte seine Oberlippe und sein Kinn, und die Haare waren kurz geschnitten. Eine Brille mit dünnem Drahtgestell saß auf seiner Nase und verlieh ihm eine gewisse Ähnlichkeit mit Lenin. Er schob die Brille zurecht, während er näher kam.
»Guten Tag.« Sein Englisch war von einem starken russischen Akzent gefärbt. »Dr. Wu hat mich über Ihren Besuch informiert. Sie müssen die beiden Detectives aus den Vereinigten Staaten sein.«
»So ist es.« Jefferson reichte dem Mann die Hand und stellte sich und McKenna vor.
Der Russe erwiderte mit einem festen Händedruck, bevor er sich McKenna zuwandte, vorsichtig ihre Hand nahm und einen leichten Kuss auf den Rücken hauchte.
»Ich wusste gar nicht, dass die Polizei in Ihrem Land so schön sein kann«, sagte er und schaute auf McKenna.
McKenna lächelte und blickte ausweichend zur Seite. Bleib ganz ruhig, großer Junge.
»Ich bin Nikolai Ugriumov.« Der Russe zuckte die
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