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Dämon

Dämon

Titel: Dämon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthew Delaney
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sagte Nat, der die Nase fast gegen das Plexiglas der Kanzel drückte, um eine bessere Sicht zu haben.
    Die Wände waren in einem hellen Blauton gestrichen, wie die Farbe des Meeres. An der Rückwand stand eine Reihe von Stühlen mit gerader Lehne, und an einer Pinnwand hing ein Kalender, der ein lachendes Vargas-Girl in einer Navy-Uniform zeigte, mit langen, übereinander geschlagenen Beinen und in den Nacken geworfenem Kopf. Darunter stand »Juni 1943«.
    Nat stieß einen leisen Pfiff aus. »Dreiundvierzig!« Er schüttelte den Kopf. »Ziemlich lange her.«
    Der Kalender war umgeben von Zeitungsausschnitten und Postkarten, alle mit Reißzwecken in den Kork der Pinnwand gedrückt und zu weit entfernt, um den Inhalt zu entziffern. Unter der Pinnwand lag irgendetwas am Boden, unter braunen Decken. Der Gegenstand war vielleicht einen Meter achtzig lang; eigenartig verkrümmt lag er an der Wand. Nat neigte den Kopf zur Seite, bevor er erkannte, was es war.
    Ein Leichnam.
    Die Decken reichten dem Toten bis zur Brust und gaben den Blick auf ein hellblaues Krankenhemd frei. Der Kopf war zur Wand gedreht, sodass das Gesicht nicht erkennbar war, doch die Haare waren dunkelblond und standen in Büscheln vom Kopf ab wie trockene Weizenhalme.
    »Wir haben einen weiteren Leichnam«, sagte Nat.
    »Wo?«
    »Unter der Pinnwand da drüben.« Er deutete durch das Glas auf die Stelle.
    Auf dem Hemd war ein dunkler Fleck, irgendetwas Handgeschriebenes. Nat entzifferte einen Namen.
    Eric Davis.
    »Scheint auf Bougainville gekämpft zu haben. Dieser Raum sieht aus wie eine Krankenstation. Wahrscheinlich wurde er verwundet und war auf dem Weg nach Hause, als die Galla versenkt wurde. Der arme Kerl.«
    Nat suchte den Raum weiter ab. Auf dem Boden vor den Pritschen glänzte etwas im Scheinwerferlicht der Sea Horse. Es sah fast aus wie Wasser, doch nach all der Zeit wäre das unmöglich.
    Er kniff die Augen zusammen und erkannte, dass es sich um einen kleinen Handspiegel handelte, der mit der Spiegelfläche nach oben lag. Direkt neben dem Spiegel lag ein dunkler Haufen. Nat benötigte einen Augenblick, um zu erkennen, dass es ein Halbschuh war, in dem ein menschlicher Fuß steckte. Ein Mann saß in einem der Stühle. Seine Haut wirkte beinahe lebendig, und seine Augen schienen im Scheinwerferlicht zu glänzen. Sein Gesicht blickte starr geradeaus; es schien, als würde er Nat fixieren.
    »Großer Gott!«, stieß Nat hervor, und während er noch hinsah, tat der Mann, der seit vierundsechzig Jahren in seinem Meeresgrab gelegen hatte, das ganz und gar Unglaubliche.
    Er lächelte.
    Nat zuckte so heftig vom Fenster zurück, dass Randy und der Kameramann erschraken. »Habt ihr das gesehen?«
    »Was … was denn?« Randy klang mit einem Mal nervös. Er hielt Nat fest am Arm gepackt.
    Nat sah ihn nicht an, sondern starrte zur Seite. »Da drin lebt noch jemand.«
    »Was?« Randy sah aus, als wolle er auflachen; dann aber schlich sich Unbehagen auf sein Gesicht. »Wo?«
    »Siehst du die Pinnwand? Daneben, die Reihe von Stühlen. Da sitzt einer drauf.« Nat starrte immer noch zur Seite, während er den Raum aus dem Gedächtnis beschrieb.
    Einen Augenblick herrschte Stille, als Randy sich vorbeugte und durch das Bullauge in den Raum blickte. Schließlich sagte er leise: »Ich kann nichts entdecken.«
    »Was? Grinst er dich nicht an?«
    »Ich kann überhaupt nichts entdecken. Da ist kein zweiter Mann. Ich sehe nur diesen Eric Davis auf dem Boden.«
    »Was, zur Hölle …«, murmelte Nat. Verwirrt und verängstigt wandte er sich wieder dem Bullauge zu. Der Stuhl war leer. Nat lehnte sich im Sitz zurück und wischte sich übers Gesicht. »Verdammt, ist das unheimlich …«, flüsterte er. »Ich hätte schwören können, dass ich jemanden auf dem Stuhl hab sitzen sehen. Er hat mich direkt angesehen, und dann hat er … hat er gegrinst.«
    Randy warf dem Kameramann einen fragenden Blick zu, doch der Franzose zuckte die Schultern. »Ich habe nichts gesehen.«
    »Wahrscheinlich nur eine Sinnestäuschung. Die Dinge erscheinen einem unheimlich, wenn man so lange in dieser Tiefe gewesen ist«, sagte Randy beruhigend.
    »Ja, wahrscheinlich.« Doch Nat klang zögerlich. Er beugte sich vor und sah erneut durch das Bullauge in den Raum.
    Der Mann saß wieder im Stuhl. Und diesmal hob er, noch während Nat hinsah, eine Hand und winkte mit erhobenem Zeigefinger.
    Nat zuckte zurück und packte Randy am Hemd. »Sieh nur!« Er zog den verblüfften U-Boot-Fahrer zu sich

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