Dämonen-Reihe Bd. 4 Traumsplitter
Geschöpfe auf, die keine reale Welt beheimatete. Ihr Konzert drang bis in die Schlafkammer, und Gabriel verspürte augenblicklich den Wunsch herauszufinden, wer diese eine Melodie summte, die aus der allgemeinen Symphonie herausstach. Für einige Herzschläge stand
ihm das Bild von einem Weiher vor Augen, versteckt zwischen Bäumen, umringt von
Binsengrün und Findlingen. Jemand saß dort und sang nur für sich … Bevor er dem
Geheimnis jedoch auf die Spur kam, wurde er bereits von einer schier überwältigenden Farbenvielfalt abgelenkt. Zwischen den Blumen und Blättern entstand plötzlich ein tiefes Glühen, das alles erleuchtete. Und auf einmal sah der Garten so aus wie das Traumgebilde aus Blattwerk und Blumen, das Ella in sich trug. Es war ein eigener Kosmos, der einen Sog auf ihn auszuüben begann. Er wollte nichts lieber, als diesem Verlangen nachgeben und in Ellas Traum eintauchen. An ihrer Seite.
Während dieses Reich mit jedem weiteren Schritt von Ella gedieh, war es eigentlich
höchste Zeit für Gabriel, ihr zu folgen, wenn er in ihrem Schatten diese Welt erkunden wollte.
Stattdessen trat er nur höchst widerwillig auf den halbrunden Balkon der Kammer. Seit Ella sich ihrem Gartentraum zugewandt hatte, baute sich in seiner Brust ein Druck auf, als wäre ein Gong in ihm geschlagen worden, dessen Hallen nun gegen seine Innenwände dröhnte
und keinen Ausgang fand. Mittlerweile kannte er diesen Druck allzu gut, und nur mit großer Mühe hatte er ihn bislang besänftigen können. Wenn ihm dieses Kunststück nicht umgehend ein weiteres Mal gelänge, würde er zerbrechen wie eine hohle Figur. Dazu brauchte er Ellas Garten, um sich zu füllen mit dem, was dieser zu bieten hatte. Den Zauber nehmen, der in einem solchen Übermaß existierte, dass er es selbst bei Tage gespürt hatte.
Einen schmerzlichen Moment hielt Gabriel noch inne, dann sprang er mit einem unerwartet lauten Klirren auf die Terrasse. Als wäre ein gläserner Gegenstand auf die Sandsteinplatten gefallen.
»Herrgott, ich folge ihr ja schon!«
Ella war bereits in Richtung der Bäume verschwunden. Nur noch einen Augenblick, dann würde er sie zwischen dem Gewirr aus Dickicht und Stämmen verlieren, und ob er ihr dann noch folgen konnte, war fraglich. Doch als er einen Fuß vor den anderen setzte, erklang ein Knall, der das Klirren um ein Vielfaches übertrumpfte. Trotzdem durfte er nicht stehen bleiben, sondern musste schleunigst zu ihr aufschließen. Mit größter Anstrengung widerstand er dem Verlangen, seine Fäuste gegen seine bebenden Schläfen zu pressen, denn auf
diese Weise war ihm ohnehin nicht zu helfen. Er musste zu Ella und mit ihr in den Garten.
Nur das und nichts anderes würde Linderung bringen. Sein nächster Schritt löste jedoch beinahe ein Erdbeben aus. Panisch blickte er auf denBoden, der unter seinen Füßen von einem zerborstenenNetz durchzogen war.
Wie ein zu Boden gefallener Spiegel.
Zögernd hielt Ella inne, als der Lärm, den er verursachte, sie erreichte. Ihre Erscheinung flackerte. Sie drehte sich um … und in dem Moment, als sich ihre Blicke kreuzten, ließ der Druck in Gabriel unvermutet nach. Obwohl er den Garten nicht einmal annähernd erreicht hatte. Verblüfftblinzelte er.
Als er wieder aufsah, war Ella verschwunden, und an ihrer Stelle zeichnete sich ein
Sonnenaufgang am Himmel ab, der den Garten in ein flammendes Rot tauchte. Gabriel
versuchte noch zu begreifen, was geschehen war, aber dann leckte die Hitze des
anbrechenden Tages über seine Wangen, und er wendete sich ab.
Kapitel 10
Verloren geglaubte Dinge
Ella stand in der Küche, als Kimi sich dazugesellte. Trotz der frühen
Morgenstunde hatte er bereits sein Augen-Make-up aufgetragen. Es konnte aber auch sein, dass er die schwarze Farbe letzte Nacht gar nicht abgeschminkt hatte. Manchmal überkam Ella sogar der Verdacht, dass Kimi einen wasserresistenten Edding anstelle eines Kajalstifts benutzte.
»Moin«, grüßte er und holte eine Flasche Bier aus der Kühlbox, die ihnen vorübergehend als Kühlschrank diente, bisTante Wilhelmines Stromfresser wieder zur Verfügung stand.
Ella musste sich anstrengen, ihre Gedanken zu sammeln. Obwohl sie bereits bei
Tagesanbruch aufgewacht war, stand sie immer noch neben sich. Als würde der seltsame Traum der letzten Nacht sie nicht freigeben. Irgendwie hatte der Garten eine Rolle gespielt, der Garten und … »Mensch, Kimi. Du kannst doch kein Bier zum Frühstück trinken«, brachte sie mit einer
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