Dämonen-Reihe Bd. 4 Traumsplitter
Aufmerksamkeit zu dem Gebilde, das Gabriel mit solcher Intensität betrachtete.
»Ist das ein Bilderrahmen?«
Gabriel zuckte zusammen, als habe er ihre Anwesenheit bereits wieder vergessen. »Nein, das war einmal ein Spiegel. Ich nehme mir immer wieder aufs Neue vor, eine neue Scheibe einsetzen zu lassen. Mittlerweile finde ich allerdings, dass er auch so ganz gut aussieht.
Außerdem käme ich vermutlich nur in den Ruf, eitel zu sein. Welcher Mann würde ansonsten mit einem zwei Meter hohen Spiegel durch die Lande ziehen?«
»Du könntest ihn Kimi ausleihen, der würde sicherlich eine interessante Verwendung für ein solches Teil finden.«
Zum ersten Mal seit der Begrüßung am Morgen schlich sich ein Lächeln auf Gabriels
Gesicht. »Ja, und vermutlich könnten wir uns einige Tage später Aufnahmen davon im World Wide Web anschauen: Kimi und sein Zauberspiegel – eine Burleske der besonderen Art .«
»Jetzt auch mit Kerzenwachs«, rutschte es der kichernden Ella heraus.
Gabriel kratzte sich mit dem Flaschenkopf an der Brust, genau an der Stelle, wo die
größten roten Flecken unter Kimis Netzshirt zu sehen gewesen waren. »Daher stammen die Verbrennungen also. Hatte mich schon gefragt. Ist Kimi nicht zu jung für solche Nummern?«
»Was für eine Frage. Natürlich ist er das!«, flüsterte Ella aufgebracht, während sie auf das Wasserrauschen aus dem Badezimmer lauschte. »Allerdings habe ich nicht die leiseste Idee, wie ich mit ihm darüber sprechen soll, ohne dass er sich wie ein Kind behandelt fühlt oder mich für einen Schwachkopf hält. Du musst mal hören, wie er über seine Eltern redet. In diese Familientradition möchte ich mich nur ungern einreihen.«
»Wenn du willst, kann ich mal mit ihm reden«, schlug Gabriel vor. »Ich glaube, er mag mich.«
Ja, am liebsten nackt und willig, bestätigte Ella ihm – allerdings nur in Gedanken. Laut sagte sie hingegen: »Nur zu, aber wundere dich nicht, wenn er etwas tut, das dich vor den Kopf stößt. Darin ist Kimi nämlich die unbestrittene Nummer eins in diesem Haus.«
Gabriel schien diese Aussicht nicht zu schockieren. »Ach, ich war schließlich selbst einmal fünfzehn und der Auffassung, dass das Leben öde ist, wenn man nicht in Eigenregie für ein bisschen Abwechslung sorgt. Damit kann ich umgehen. Aber jetzt sollten wir auf den Einzug anstoßen, bevor das Bier noch wärmer wird. Würde mich nicht wundern, wenn es gleich zu kochen beginnt. Also, auf die Traumvilla.«
Die Flasche schon angehoben, hielt Ella inne.
Für einen Moment war ihr, als würde sie ihr Spiegelbild in dem Rahmen sehen. Als gäbe es doch eine Scheibe aus Spiegelglas … Aber selbst wenn dem so wäre, war etwas
grundlegend falsch: Denn der Spiegel-Gabriel sah nicht etwa die Spiegel-Ella an und wartete darauf, dass sie seinen Trinkspruch erwiderte. Stattdessen blickte er sie direkt mit seinen sturmhimmelgrauen Augen an.
»Ist alles okay bei dir?« Gabriels tiefe Stimme weckte sie aus ihrem Tagtraum.
Ella musste sich regelrecht schütteln, um die Vorstellung, Gabriels Spiegelbild habe ihr zugeblinzelt, loszuwerden. »’tschuldigung, war eben kurz weggetreten. So eine Art
Sekundenschlaf.«
»Sekundenschlaf, tatsächlich.« Gabriel schien nicht sonderlich überzeugt.
Ella auch nicht, aber der Rahmen war zweifelsfrei leer, abgesehen von der hölzernen
Rückwand, die wohl kaum etwas widerspiegeln konnte. Schon gar nicht einen blinzelnden Gabriel mit so einem befremdlichen Ausdruck.
Während sie versuchte, sich das Bild
abermals vor Augen zu rufen, zerfaserte es bereits wie ein Traum, den man nach dem
Erwachen nicht festhalten konnte. Nur ein grober Eindruck blieb zurück, aber der reichte, um sie zu verwirren.
»Falls es das nicht war, dann liegt es vielleicht an den Dämpfen, die die alten Möbel ausdünsten. Wer weiß, was für ein Teufelszeug die früher zum Aufpolieren benutzt haben.«
Noch immer runzelte Gabriel die Stirn.
Ella stöhnte innerlich auf. Man konnte sagen, was man wollte, aber sie war wirklich
geschickt im Umgang mit Männern. Vor ein paar Minuten hatten alle Zeichen auf entspanntes Beschnuppern gestanden, jetzt standen sie wie zwei Fremde voreinander, und Gabriel
erweckte den Eindruck, als wäre er lieber woanders. Zum Beispiel in einer Bar, wo die Frauen keine Aussetzer ohne jeglichen Einfluss von Bier hatten. Ja, um einen Mann auf Distanz
zu
bringen,
gab
es
nichts
Wirkungsvolleres,
als
eine
Neigung
zu
Spontanhalluzinationen zu
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