Dämonen-Reihe Bd. 4 Traumsplitter
Villa an die längst vergangene Epoche des Jugendstils. Sogar noch mehr als das wellig gewordene Mosaik auf dem Fußboden, das ausgesprochen lebendige Ranken darstellte.
Solange sie keine Lösung fanden, wie man die Marmorwände unbeschadet abhängte, gab
es keinen Strom im Badezimmer. Gabriel machte das nichts aus, da er sich nassrasierte.
Und bei Kerzenlicht zu baden, war auch keine unangenehme Erfahrung, wie er gerade
feststellte. Zumal das bestenfalls lauwarme Wasser, das aus dem Kaltwasserhahn
plätscherte, genau die richtige Temperatur hatte. Perfekt.
Bis zur Brust sank er hinein. Seine erhitzte Haut zog sich elektrisiert zusammen, dafür nahm der Druck hinter seinen Schläfen augenblicklich ab. Gabriel wartete einige Atemzüge, dann tauchte er mit dem Kopf unter. Das klare Wasser spülte die letzten Reste von
Erschöpfung fort, gaukelte ihm Schwerelosigkeit vor, und als er die Augen öffnete, sah er nur milde flackerndes Grün, als blickte er in einen Algenwald. Nachdem er sich wieder aufgesetzt hatte, entschied er, dass es ihm auf keinen Fall besser gehen konnte. Höchstens noch mit einem Bier in Reichweite … Aber den Biervorrat hatte er nach der vollendeten Arbeit
gemeinsam mit Ella vor dem leeren Spiegelrahmen niedergemacht, bevor sich jeder mit
schmerzenden Gliedern auf sein Schlaflager verzogen hatte.
Gabriel stemmte seine Füße gegen den Badewannenrand und wackelte mit den Zehen, bis
Tropfen davonflogen. In Gedanken ging er den letzten Tag durch, wobei er mit einer
imaginären Schere all jene Stellen herausschnitt, bei denen er über die ihm bevorstehende Aufgabe gegrübelt oder die Panik sich aus ihrem Gefängnis freigekämpft hatte oder
Erinnerungen an den Abend mit Bernadette zurückkehrten. Zu seiner Erleichterung waren es nur wenige Stellen, denn die meiste Zeit über war er zu beschäftigt gewesen. Ellas
Tatendrang war ansteckend, sie hatten alle drei ohne Unterlass geschleppt, gerückt und geräumt wie die Weltmeister. Als dann die unteren Zimmer, in denen sich die Elektriker nur wenig ausgetobt hatten, mit den wunderschönen alten Möbeln eingerichtet waren, hatte sich eine tiefe Befriedigung in Gabriel breitgemacht. Zu seiner Verwunderung hatte sie nichts mit jener Art von Befriedigung zu tun, nach der er sich sonst stets sehnte. Er war im Einklang mit sich gewesen, und das ganz ohne irgendwelche Tricks. Seinetwegen konnte das Leben
immer so weitergehen. Leider würde es das nicht tun, denn er konnte sich nicht ewig tot stellen, gleichgültig, wie sehr er sich das wünschte. Eine Nacht, in der er sich nicht auf Wanderschaft begab, mochte noch angehen, vor allem nach dem unerklärlichen Ereignis in Ellas Traum, in dem ein Blick von ihr ausgereicht hatte, um den Druck von ihm zu nehmen.
Nur konnte er keineswegs darauf setzen, dass ihm noch einmal ein solches Wunder zu Hilfe kam.
Widerwillig stemmte Gabriel sich aus der Badewanne und stellte sich zum Trocknen vor das offene Fenster.
Ein erster zarter Morgengruß zeichnete sich am Himmel ab, während die Sterne
verblassten. Dies war seine Lieblingszeit, die Zeit, in der die lebendigsten Träume geträumt wurden. Der Moment, in dem man dem Irrglauben anhing, sie einfangen zu können, obgleich sie schon zerfielen wie verbranntes Papier. Während er auf den Garten hinabblickte, hatte Gabriel das Gefühl, als würde er träumen, denn dem Reich aus Blättern und Blüten wohnte etwas Unwirklichesinne. Schon als er zum ersten Mal hier aufgetaucht war, schien es ihm so, als würde er willkommen geheißen, und er hatte sich dem Zauber der Villa und des Gartens nicht entziehen können. Erst als er das provisorisch eingerichtete Fotostudio betreten hatte, war ihm klar geworden, dass die Quelle dieses Zaubers an gänzlich
unerwarteter Stelle zu finden war: Die Quelle war braunhaarig und ausgesprochen
durchsetzungsstark, was er schon kurze Zeit später am eigenen Leib zu spüren bekommen hatte.
»Und dabei dachte ich immer, die Realität sei langweilig«, raunte Gabriel halb belustigt, halb widerstrebend.
Ein Nachtfalter flog durch das offene Fenster, drehte im Badezimmer eine Runde und
wurde schließlich von einer Kerzenflamme angezogen. Schnell griff Gabriel ein, und das Schlagen der filigranen Flügel gegen seine Handteller verursachte ihm einen Schauer, der ihn die Hitze der Nacht vergessen ließ.
»Es ist egal, wie anziehend die Flamme auch ist, mehr als umkreisen darf man sie nicht.
Das solltest du dir besser merken, mein
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