Dämonen-Zwillinge
er?«
»In ein paar Minuten ist er hier.«
Dagmar atmete auf. Sie ließ ihren Freund los und lehnte sich neben dem großen Spiegel an die Wand. »Das ist ja verrückt, das ist ja wunderbar. Dann kannst du ja fahren und mich allein lassen, Harry.«
Er griff bereits nach seinem Mantel. »Nicht gern, das weißt du.«
»Der Job geht vor.«
»Nicht vor ein Menschenleben.« Er hob seine weiche Ledertasche an. »So, meine Liebe, ich werde dich allein lassen. Ich habe ein verdammt schlechtes Gewissen, aber John ist wirklich auf dem Weg.«
»Warum hat er sich verspätet?«
Harry zuckte die Achseln. »Erstens ein Stau und zweitens noch ein Unfall. Dagegen kann man nichts machen.«
»Ja, das stimmt.« Sie hatte Harry nicht angeschaut. So fiel ihr nicht auf, dass er nach der Antwort seine Lippen zusammenpresste, um nur kein falsches Wort mehr zu sagen. Er hatte ihr die Wahrheit bewusst nicht gesagt, weil er sie nicht noch weiter beunruhigen wollte.
»Ich gehe dann.«
»Gut.«
Beide küssten sich zum Abschied. Ihr Lächeln danach wirkte etwas gezwungen, und Dagmar ging noch mit bis zur Wohnungstür. Als Harry sie aufgezogen hatte, klammerte sie sich ein letztes Mal an ihm fest. »Bitte, gibt auf dich Acht. Es geht ja hier nicht nur um mich. Auch du bist in Gefahr, glaub mir.«
»Ich weiß.« Mehr wollte er nicht sagen. Er hatte das Gefühl, dass man ihm die letzte Lüge am Gesicht ansah. Fast abrupt drehte er sich zur Seite und verließ die Wohnung, in der Dagmar allein zurückblieb und sich zunächst gegen die geschlossene Tür lehnte und dabei tief durchatmete. Sie merkte das Tuckern hinter ihrer Stirn. Sie wusste, wie nervös sie war, und sie wusste auch, dass diese Nervosität aus der Angst geboren war. Etwas Unheimliches kam auf sie zu, und sie hatte keine Ahnung, wie es enden würde.
Die Wohnung war leerer geworden und stiller. Sie befand sich nur noch allein darin, und sie spürte die Kälte, die sich auf ihre Haut legte.
Ihre Kehle war trocken geworden und saß irgendwie zu. Die Augen brannten, was nicht nur an der Müdigkeit lag, sondern auch eine Folge des wenigen Schlafs war, den sie bekommen hatte.
In der Küche stand noch das Frühstück auf dem Tisch. Sie nahm wieder Platz und schenkte sich eine Tasse Kaffee ein. Harry hatte ihn gekocht. Er war sehr stark geworden.
Dagmar kippte Milch hinein, rührte um und schaute dabei versonnen ins Leere. Sie saß zwar auf dem Stuhl, glaubte aber, über der Sitzfläche zu schweben. Der Druck wollte nicht aus dem Kopf weichen, und wieder kam ihr die eigene Küche fremd vor.
Mit brutaler Wucht war sie von der Vergangenheit eingeholt worden. Von einer Vergangenheit, von der sie nicht gewusst hatte, dass sie überhaupt existierte. Das war einfach nicht nachzuvollziehen. Dass sie zu den Psychonauten gehörte, hatte ihr bereits Probleme genug gemacht, doch zu wissen, dass sie in einem anderen Leben Mutter gewesen war, zudem noch Mutter von Zwillingen, das war einfach zu hoch für sie.
Sie musste es akzeptieren. Isa und Irene. Zwei Mädchen. Zwei gefährliche Personen, die auch über Leichen gingen und sich nicht gescheut hatten, ihre eigene Mutter zu verbrennen.
Sie aber lebten weiter. All die Zeiten über hatten sie gelebt, während die Mutter Jahrtausende später in Dagmar Hansen wiedergeboren worden war. Das bekam sie nicht in die Reihe, obwohl ihr die Magie mit all ihren Nebenwirkungen alles andere als fremd war.
Ja, auch sie war erwischt worden. Brutal erwischt, eingeholt von der Vergangenheit. Schon einmal war sie von ihren Töchtern getötet worden. Dass sie es ein zweites Mal versuchen würden, dazu brauchte sie nicht viel Vorstellungskraft.
Der Kaffee schmeckte bitter, trotz der Milch, die ihm die herrlich hellbraune Farbe verliehen hatte.
Sie trank ihn langsam und schaute dabei auf die Uhr. John Sinclair war unterwegs. Das hatte er Harry mitgeteilt, und sie bezweifelte, dass er sie angelogen hatte, nur um sie zu beruhigen. So etwas tat ein Mann wie Harry nicht.
Aber sie merkte den Druck, der sich immer stärker in ihr aufbaute. Sie verfolgte den Sekundenzeiger der Uhr am Handgelenk. Er schien sich langsamer zu bewegen als sonst, und wenn sie zu stark hinschaute, verschwamm er vor ihren Augen.
Die Zeit... ja, die Zeit. Sie war so etwas Relatives. Sie war eigentlich nicht manipulierbar, und doch schafften es immer wieder Menschen oder Wesen, sie für sich zu nutzen. Da war die Vergangenheit nicht mehr das, was sie war, weil sie plötzlich hinein in die
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