DÄMONENHASS
Grenzgebirge davongetragen. Doch in den Hügeln und entlang der Bergkette verfolgten wir den unbeholfenen Flug des Wesens. Ein dicker Bolzen hatte sich in sein Fleisch gebohrt, und in seinem verwundeten Zustand konnte es die Berge nicht überwinden. Flüssigkeiten rannen ihm aus der Wunde, es stürzte in einem Kiefernwald zu Boden und verendete an den Hängen über einer Szgany-Siedlung. Und so befindet sich dein Bruder, unser Onkel Nestor, nicht auf der Sternseite, sondern hier auf der Sonnseite. Aber ... ich kann nicht sagen, ob er noch lebt. Angehörige des Rudels waren in der Nähe, aber nicht nahe genug. Und die Menschen in jenem Dorf fürchten sich vor allen Wesen, die nicht menschlich sind. Oh ja, sie fürchten sogar fremde Menschen! Die Graue Bruderschaft muss sich von dort fernhalten .
»Welches Dorf war das?« Nathan konnte seine Aufregung kaum bezähmen und wäre beinahe aufgewacht. »Wo ist der Flieger abgestürzt? Wenn Nestor noch am Leben ist, muss ich ihn finden. Er ist alles, was ich noch habe.«
Du hast uns.
»Er ist der einzige Mensch, den ich noch habe.«
Du hast den Lidesci. Er war der Freund unseres Vaters, noch ehe wir geworfen wurden.
»Aber Lardis Lidesci ... ist nicht meines Blutes.«
(Der Wolf nickte weise.) Das Dorf ist von hier aus das nächstgelegene gen Osten, zwischen den Flüssen .
»Zwiefurt?«
Wir glauben, so heißt es. Aber, Nathan, du hast noch deine Mutter und ein junges Weibchen der Szgany. Wir haben euch zusammen gesehen, und sie ist stets in deinen Gedanken.
»Misha? Ich weiß nicht, ob sie noch lebt. Und falls sie lebt, weiß ich nicht, wo oder wie lange noch. Sie wurde von einem ... von einem Menschenhund geraubt! Einem Tierwesen. Einem Wamphyri!«
Der Herr, unser Vater, war ein Wolfsmensch, ein Werwolf.
Nathan schüttelte den Kopf. »Euer Vater kann nicht wie dieser gewesen sein. Ihr seid Tiere, Nichtmenschen. Aber der hier war eine ... eine Bestie! Er war unmenschlich!«
Wir kennen ihn. (Wieder dieses weise Kopfnicken.) Jenseits des Passes im Osten haben die grauen Brüder gehört, wie er zu Karenhöhe den Mond ansingt. Denn er verehrt unsere silberne Herrin auf ähnliche Weise wie wir. Aber du hast recht: Er ist nicht wie wir. Wir sind ... Tiere, und er ist eine Menschenbestie.
»Wamphyri«, sagte Nathan, »oh ja ...«
Und deine Mutter? Was ist mit ihr?
»Ich weiß es nicht. Vielleicht wurde sie verschleppt; ich bete zu meinem Stern, dass sie nicht geraubt wurde. Vielleicht ist sie in die Wälder geflohen. Doch wenn sie das getan hat, warum ist sie dann nicht zurückgekehrt? Wisst ihr etwas von ihr?«
Nein. Von Nestor haben wir nur durch Zufall erfahren. Wir wünschen dir für deine Suche nach ihm Glück.
»Verlässt du mich jetzt?« Nathan ließ ihn nur ungern ziehen.
Viel Neues ist geschehen. (In Nathans Geist schienen Blesses
goldene Augen ihn anzuglühen. Doch das gelbe Feuer in ihnen verblasste, und die telepathische Stimme des Wolfes wurde
leiser und erklang wie aus weiter Ferne.) Seltsame und ungeheuerliche Geschöpfe sind zur Sternseite gekommen und unternehmen von dort aus ihre Raubzüge zur Sonnseite. Die Wälder und Berge sind nicht mehr sicher, weder für Wolf noch Mensch. Auf diese Schwierigkeiten haben wir keine Antwort, doch es gibt zumindest einen, der sie vielleicht kennt. Jetzt gehen wir, um mehr darüber herauszufinden.
Verzweifelt versuchte Nathan, ihn zurückzuhalten, sich an den einzigen vertrauten Faden zu klammern, wie unheimlich, schwach und unglaublich dieser auch sein mochte, um in einer Welt zu bestehen, die binnen weniger Stunden zu einem Albtraum geworden war. »Antworten? Aber auf die Wamphyri gibt es keine Antworten.«
Vielleicht hast du recht. Vielleicht auch nicht. (Die Stimme wurde immer leiser und begann allen Sinn und Zusammenhang zu verlieren. Wie sonst sollte Nathan die nächsten Worte, die er hörte, verstehen?) Aber unsere Mutter spricht mit unserem Vater, der dein Bruder ist. Wenn jemand die Antworten kennt, dann er. Deshalb gehen wir, um mit jener zu sprechen, die uns einst säugte.
»Mit eurer Mutter, einer Wölfin?«
Oh ja, an einem geheimen Ort, wo ihre bleichen Knochen liegen ...
Es schien, als umheule Nathan ein kalter Wind, während die Wolfsstimme aus seinen Träumen entschwand ...
... doch es war nur die kalte Nachtluft, die über sein Gesicht strich, als ihm jemand die Decke vom Kopf zog. Er blinzelte gegen den Feuerschein und sah, dass Lardis neben ihm kniete und ihm die Decke wegzog.
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