DÄMONENHASS
undeutliche Frage stellte: »Wer kommt da? Seid ihr Aussätzige?«
»Nein, keine Aussätzigen«, hatte Nana geantwortet und ihre Augen von dem grellen Schein der Laterne abgewandt, »aber Freunde derjenigen, die hier leben.«
»Keine Aussätzigen?« Der andere schrak zurück. »Dann geht – und zwar rasch! Wir Aussätzigen haben keine Freunde. Und hier leben wir nicht, es ist vielmehr so, dass wir hierher kommen, um zu sterben ...«
»Keine Freunde?« Jetzt hatte Lissa ihre Stimme wiedergefunden. »Nicht einmal Lardis Lidesci, dem dieses Land gehört, dessen Vater diesen Ort errichtet hat und dessen Weib ich bin?«
»Ahh!«, machte der andere, und als er die Laterne höher hielt, erhaschten die Frauen einen kurzen Blick auf sein Gesicht. An einer Wange war der graue Knochen sichtbar, und seine Nasenlöcher klafften weit auseinander und waren völlig zerfressen. »Der Lidesci? Sein Weib? Aber mitten in der Nacht? Und du ...«, er schwang seine Laterne zu Misha, »... erst ein Mädchen, aber ganz zerzaust, voller Schrammen, und deine Kleidung ist zerrissen? Und ... und ... Das Weib des Lidesci, sagst du?« Er wandte sich wieder Lissa zu. »Aber ebenfalls zerzaust und in Fetzen! Sprich, was geht hier vor?«
»Alter Mann«, jetzt erhob Misha die Stimme, »schwere Zeiten sind angebrochen, und wir müssen die Nacht hier verbringen und den Sonnauf abwarten.« In aller Unschuld streckte sie die Hand nach seinem Ärmel aus.
»Ahhh!«, sagte er wieder, doch diesmal keuchend, und zog sich rasch aus ihrer Reichweite zurück. »Ich bin nicht ... nicht alt. « Bedächtig schüttelte er den Kopf. Doch schon im nächsten Augenblick fuhr er fort: »Was meinst du mit schweren Zeiten?«
»Die Wamphyri haben sich wieder auf der Sternseite breitgemacht«, verkündete Nana atemlos. »Heute Nacht haben sie Siedeldorf überfallen!«
Endlich hatten sie Eindruck gemacht. »Die Wamphyri!«, krächzte der Aussätzige und schwankte aufgeregt vor und zurück. »Was denn? Sie sind wieder zurück, sagt ihr?« Unvermittelt fuhr er herum und hinkte einen Pfad entlang zu den Holzhäusern zwischen den Bäumen.
»Warte!«, rief Misha ihm nach. »Wir können die Nacht nicht im Freien verbringen!«
Er warf einen flüchtigen Blick über die Schulter. »Ich halte nur Wache«, sagte er heiser. »Aber auch wir haben einen Anführer. Wartet hier, ich hole ihn.«
Wenig später kehrte er zurück. In seiner Begleitung befanden sich einige weitere Aussätzige, die ähnlich gekleidet waren wie er. Einer von ihnen war hochgewachsen und zog das Bein nach. Offenbar hatte er große Schmerzen. Die Ärmel seines Mantels schienen von den Ellbogen abwärts leer zu sein ... aber seine Kapuze war zurückgeworfen, und sein Gesicht war zu sehen. Es war unversehrt. Er war bleich und hohlwangig und hatte dunkle, ausdrucksstarke Augen.
»Ich bin Uruk Piatra«, sagte er und blickte die Frauen an. »Die anderen nennen mich Uruk den Langlebigen. Und du ...« – er musterte Lissa lange und eingehend, ihr ovales Gesicht mit den sanften Mandelaugen, ihre ranke, schlanke Gestalt – »Ja, du bist Lardis Lidescis Weib. Du bist nicht zum ersten Mal hier, nicht wahr?«
»Ich bin mit meinem Mann hier gewesen«, sagte sie und nickte. »Als er die Grenzen abschritt. Schon zweimal, aber vor langer Zeit.«
»Oh ja, vor langer Zeit«, pflichtete Uruk ihr bei, »als ich noch meine Hände hatte.« Er blickte sie alle der Reihe nach an und blinzelte im gelben Schein der Laternen. »Aber man hat mir etwas Schreckliches berichtet – dass die Wamphyri zurückgekehrt sind und die Sonnseite überfallen haben!«
Mittlerweile hatte Lissa sich wieder in der Gewalt. »Es ist wahr«, bestätigte sie. »Leider! Wir kommen aus Siedeldorf. Als wir es zuletzt sahen, stand es in Flammen. Vampire streiften durch die Straßen, mordeten, schändeten, erschufen sich Knechte. Aber ich weiß noch, wie mein Mann mir vor langer Zeit sagte, dass dieser Ort vor ihnen sicher ist. Deswegen sind wir hierhergekommen, um uns während der Nacht vor den Vampiren zu verbergen und um Unterschlupf vor dem Wald und den Tieren darin zu suchen – zumindest bis Sonnauf. Dann werden wir überlegen, was wir als Nächstes tun.«
Der Anführer der Aussätzigen schüttelte den Kopf, und der gequälte Ausdruck auf seinem Gesicht steigerte sich noch. »Entsetzlich!«, sagte er. »Doch das Grauen hat viele Gesichter. Ich weiß wohl, es wäre ein Albtraum, würde eine Frau den Wamphyri in die Hände fallen, und es wäre noch
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