DÄMONENHASS
beschwor er den Mahlstrom der Zahlen herauf, fing ganze Abschnitte der wandelbaren Berechnungen ein und ließ sie auf dem inneren Bildschirm seines Geistes erstarren, damit er sie besser betrachten konnte. Aber sie gaben nichts preis und blieben ihm so fremd wie die fernsten Gestirne. Und wenn er seine Konzentration nur einen Augenblick außer Acht ließ ... dann gerieten sie wieder in Fluss, wandelten sich, schlossen sich erneut dem Mahlstrom an und wurden in den unendlichen Strudel unauslotbarer Gleichungen gesogen ...
Die Thyre berichteten ihm Neuigkeiten über die Wamphyri. Hier, weit östlich des Großen Passes, waren ihre Spuren spärlicher. Was Nathan hier erfuhr, passte gut zu dem, was er bereits wusste. Nur eine Handvoll Wamphyri hatte die Große Rote Wüste zur Sternseite durchquert, und sie hatten sich in Karenhöhe, dem letzten Horst, niedergelassen. Dort hatten sie ihre Stellung befestigt, ihre Armee aufgebaut, weitere Vampire erschaffen. Da ihr ›Rohmaterial‹ nur eine Flugstunde entfernt auf der anderen Seite der Berge zu finden war, hatten sie bisher keine Notwendigkeit gesehen, im Osten zuzuschlagen. Im Augenblick gaben sie sich damit zufrieden, die östlichen Bereiche lediglich auszuspähen. Man hatte sie gesehen, wie sie mitten in der Nacht als bloße Schatten vor dem Mond und den Sternen aus der Höhe das Land erkundet und gierige Blicke auf den menschlichen Reichtum geworfen hatten, den sie sich bald zu holen gedachten.
Westlich des Passes – bei den vertriebenen und enteigneten, belagerten und verheerten Menschen von Siedeldorf, Tireni-Hang und Mirlu-Städtchen, einem halben Dutzend weiterer Dörfer und Lagerstätten und sämtlichen Szgany-Stämmen, die sich nunmehr dort auf Wanderschaft befanden – sah es freilich anders aus. Dort waren bereits die ersten Opfer der Blutpest anzutreffen – und nur die ersten. Denn sobald die Wamphyri genügend Knechte und Offiziere in ihre Dienste gepresst, hinreichend Flieger und Krieger herangezüchtet und sich zu einer unüberwindlichen Eroberungsstreitmacht aufgerüstet hatten, war die Zeit gekommen, dass sie ihre Grenzen gen Osten erweiterten. Die Schändung der Sonnseite würde anhalten, sich ausbreiten und schließlich alles umfassen. Dann war die alte Ordnung dahin, und die Szgany wären ... nicht mehr als Schlachtvieh ...
Auf seinem Weg nach Osten legte Nathan in jeder neuen Thyre-Kolonie nur kurze Aufenthalte ein. Er fühlte sich zum Osten, zu der Wurzel jenes Krebsgeschwürs, das sich durch die Sonnseite ausbreitete, regelrecht hingezogen. Da er nicht länger zufrieden war, vor der Seuche davonzulaufen, hatte er sich entschlossen, geradezu auf sie loszustürmen. Denn wenn er den Rest seines Lebens nicht bei den Thyre verbringen wollte, würde die Seuche ihn ohnehin irgendwann einholen. Im Lauf der Zeit mochte sie sogar die Thyre selbst überrennen!
Die Ortsnamen der Thyre vermischten sich in seinem Verstand, als die entweder unterirdisch oder in den endlosen Sandweiten der Oberfläche verbrachten Wochen zu Monaten wurden: Acht-schiefe-Bäume, Glühwurm-See, Garten-über-der-Klamm und Garten-unter-der-Klamm, Sieben-Brunnen-im-Süden, Stätte-der-heißen-Quellen, Großes-Strudelloch und Bröckelhöhle. Schließlich erfuhr er von den Toten von Salzstein-Grube den Namen eines Uralten in Fluss-Schnelle hinter der Großen Roten Wüste: Thikkoul, der aus den Sternen die Zukunft der Menschen gelesen hatte. Leider war Thikkoul vor seinem Tod erblindet, und die Sterne waren für ihn unsichtbar geworden. Doch jetzt ... war es durch Nathan vielleicht möglich geworden, dass er sie erneut deuten konnte? Vielleicht konnte er aus den Sternen sogar Nathans Zukunft lesen.
Nathan beschloss, mit Thikkoul zu sprechen, aber bis Fluss-Schnelle lagen noch viele Meilen und zahlreiche weitere Kolonien vor ihm ...
Auf dem fruchtbaren Rand von Krater-See, der sich wie eine falsche Hochebene aus der Glutwüste erhob, besprach Nathan sich mit seinem Führer Septais, einem jungen Thyre, der nur fünf oder sechs Jahre älter war als er. Septais begleitete ihn nun schon seit drei Monaten: Sie hatten sich angefreundet und empfanden wenig oder nichts an Fremdartigkeit oder Sonderbarkeit an der Gesellschaft des jeweils anderen. Nathans Stimme klang gedämpft und sogar ehrfurchtsvoll, als er fragte: »Wie kann es denn sein, dass Szgany und Thyre einander nicht kennen? Wir haben so lange so nahe beieinander gelebt und sind uns doch, abgesehen von gelegentlichen Handelstreffen,
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