DÄMONENHASS
Geisteswehr bewahren.
»Ich hörte, dass er ein Mystiker war, der etwas von seltsamen Dingen verstand. Vielleicht konnte er die Zahlen deuten, die meine Träume heimsuchen, und mir den Grund eröffnen, warum ich mich bei meinem eigenen Volk wie ein Fremder fühle.« Er zupfte an dem verdrehten Band an seinem Handgelenk. »Vielleicht wusste er auch, weshalb ich dieses Ding hier trage, das zu einem Teil von mir geworden ist.«
»Ah!« Maglore war zugleich abgelenkt und fasziniert, ganz wie Nathan gehofft hatte. »Nimm es ab. Lass es mich noch einmal sehen.« Nathan tat wie geheißen. Maglore nahm es auf und sagte: »Also gibt dir dieses Zeichen ebensolche Rätsel auf wie mir. Warum hast du das nicht gleich gesagt?«
»Ich trage es schon mein Leben lang«, gab Nathan zur Antwort. »Ich trage es wie meine Haare. Aber obwohl es nichts Besonderes zu sein scheint, weiß ich doch, dass es etwas Besonderes ist, denn es ist auch dein Wahrzeichen. Es kam mir anmaßend vor, es für mich selbst in Anspruch zu nehmen.«
Da musste Maglore endlich schmunzeln. »Um nicht zu sagen: gefährlich, nicht wahr?«
»Auch das«, antwortete Nathan.
»Nun, da erfahren wir immer wieder etwas Neues über dich.« Der Seher-Lord nickte und warf das Band auf den Tisch. »Du bist also doch nicht so naiv. Und kannte Iozel das Wahrzeichen? Konnte er dir irgendetwas darüber sagen?«
»Oh, er kannte es schon, Herr«, sagte Nathan. »Aber ob er darüber Bescheid wusste? – Nein, keinesfalls. Er war ein Schwindler! Da weiß ja ich mehr als er.«
»Tatsächlich? Erkläre es mir.«
Nathan nahm das Band an sich. »Ich habe ... etwas daran bemerkt. In ruhigeren Augenblicken habe ich dieses Konstrukt genau studiert.«
»Ein Konstrukt?«, sagte Maglore. »Ach wirklich? Hältst du es dafür? Aha!«
»Wie viele Seiten hat es?«
»Eh? Ein Rätsel?« Maglore beugte sich über den Tisch und befühlte das Leder zwischen Daumen und Zeigefinger. »Seiten? Na ja, natürlich zwei.«
Nathan schüttelte den Kopf. »Eine«, sagte er. »Es ist eine Sinnestäuschung, siehst du?« Er holte ein Stück Holzkohle aus dem Kamin und zeichnete damit eine Linie in der Mitte des Bandes. Die Linie wurde länger, er drehte das Band auf dem Tisch, und der Beginn der Linie traf schließlich auf ihr Ende.
»Ahhh!« Maglores Unterkiefer fiel herab.
Und Nathan fragte ihn: »Wie viele Kanten hat es?«
»Eh? Kanten?« Maglores Augen huschten zwischen dem Band und Nathans Gesicht hin und her. »Nun, zwei, ganz klar. Schließlich ist es doch nur ein Lederband, oder? Es muss zwei Kanten haben, und sei es nur zur Begrenzung des Zwischenraumes!«
»Eine«, sagte Nathan wieder.
»Nein!«, sagte Maglore erstaunt. »Lass es mich versuchen!« Er schwärzte den Rand des Bandes mit dem Kohlestück, bis ›beide‹ Kanten (obgleich es natürlich nur eine gab, wie Nathan ganz richtig gesagt hatte) mit Ruß geschwärzt waren. Dann ... legte der Seher-Magier mit weit aufgerissenen Augen das Band behutsam vor sich. »Seit sechzehn Jahren kenne ich dieses Zeichen nun schon«, sagte er, »und habe es sogar zu meinem Wahrzeichen erkoren. Dennoch habe ich es nie ›gekannt‹! Aber nun, durch dich ...« Er starrte Nathan mit einem fast staunenden Ausdruck an. »Nun, indem er mich auf dich aufmerksam machte, hat Iozel Kotys letztlich doch seine Schulden bezahlt. Denn es besteht wahrlich dieses Band zwischen uns.«
Vielleicht hätte er weitergesprochen, wäre jetzt nicht ›sie‹ eingetroffen ...
FÜNFTES KAPITEL
Auf eine zurückhaltende, verhaltene Art war sie schön, aber man konnte sofort sehen, dass sie keine Vampirin war. Ihre Augen waren schwarz wie die der Szgany-Frauen; und trotz des mangelnden Sonnenscheins – oder vielleicht gerade deshalb – hatte ihre Haut eine einzigartige sahnige Beschaffenheit. Zwar wies sie nicht mehr die helle, natürlich goldbraune Färbung der Zigeuner auf, aber ihr Teint wirkte gesünder als Nathans Gesichtsfarbe und war auf keinen Fall mit der Blässe eines Knechtes oder einer Sklavin oder dem kränklichen Grauschimmer eines untoten Vampirwesens zu verwechseln.
Sie war in einen langen Rock gekleidet, der seitlich geschlitzt war und ihre langen Beine bis zur Mitte der Oberschenkel freiließ; zudem trug sie eine durchscheinende Bluse, welche die Rundungen ihrer prallen Brüste kaum verbarg. Sie trat an den Tisch und verneigte sich. Ihr glattes, kohlschwarzes Haar hing lang herab und umrahmte ihr ovales Gesicht. Doch als sie sich wieder aufrichtete und
Weitere Kostenlose Bücher