Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dämonenherz

Dämonenherz

Titel: Dämonenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Talbot
Vom Netzwerk:
wurde zu einem überraschten »Oh«. Ihre Augen, ihr Mund, sogar ihre klitzekleinen Nasenlöcher weiteten sich.
    »Sie wirken sehr professionell.«
    Anna fühlte sich mittlerweile von jedem einzelnen Wort von May Ling gereizt. Was erlaubte dieses Persönchen sich, neben dem man sich auch noch fühlte wie ein Nilpferd?
    »Ich bin professionell. Das wird man nicht erst, wenn man für Herrn Weller arbeitet.«
    »Entschuldigen Sie bitte, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten. Es ist nur erstaunlich, dass Sie nach kurzer Zeit schon eine derart hohe Position erreicht haben. Sie müssen über außergewöhnliche Fähigkeiten verfügen.« May Ling seufzte. »Ich wollte es ja auch einmal werden, aber leider haben meine Gefühle dafür nicht ausgereicht.«
    »Ihre Gefühle?« Verwundert betrachtete Anna das zierliche Geschöpf neben sich. »Was für Gefühle denn?«
    Aber May Ling zauberte nur wieder ein Lächeln auf ihre sanft gerundeten Wangen. »Ach, was für ein schöner Tag. Lassen Sie uns nicht vom Tod reden. Für uns ist er heute in weite Ferne gerückt. Verzeihen Sie, wenn mein Bruder eben etwas ungehalten war. Wir mussten vierzehn Jahre warten, und es war bis heute nicht klar, ob mein Vater die Unterzeichnung des Vertrages noch erlebt.«
    »Vierzehn Jahre«, murmelte Anna. »Das sind aber wirklich lange Verhandlungen.«
    »Nicht wahr? Aber sie haben sich gelohnt. Richten Sie Herrn Weller bitte unsere besten Grüße aus.« Sie zwinkerte Anna verschwörerisch zu. »Und ganz besonders meine.«
    »Selbstverständlich«,antwortete Anna. »Ich muss mich jetzt leider auf den Weg machen.«
    »Wo wohnen Sie?«
    »Im Baur au Lac.«
    »Sehr schön. Herr Weller sorgt gut für seine Angestellten.«
    »Ja«, erwiderte Anna. »Das tut er. – Darf ich fragen, wann Sie Ihr Restaurant öffnen?«
    May Ling hob die schmalen Augenbrauen. »Welches Restaurant? Wir sind in der Stahlindustrie.«
    »Aha.«
    Anna nickte. May Ling lächelte ihr noch einmal zu und verschwand im Haus.
    Alles in allem eine rätselhafte Angelegenheit, aber Anna beschloss, sich darüber keine Gedanken zu machen. Sie lief über das Kopfsteinpflaster der schmalen Gasse, bis sie die belebte Bahnhofstraße erreichte. Erst da fiel ihr ein, dass sie ihre Jacke vergessen hatte. Sie drehte sich um und ging wieder zurück, aber der Goldene Drache war verschwunden.
    Anna rieb sich die Augen, ging die Gasse auf und ab, zählte die Schritte, wandte sich nach links und rechts, prüfte jede einzelne der hübschen Fassaden, aber das Restaurant tauchte nicht mehr auf. Weder der rote Seidenballon noch das vergoldete Wirtshausschild. Fast schien es, als wäre die letzte Viertelstunde nur ein Traum gewesen. Erschrocken öffnete Anna ihre Aktentasche. Die Mappe war noch da. Um ganz sicher zu sein, öffnete sie sie und prüfte sogar die Unterschrift.
    In welcher Sprache war bloß dieses Dokument verfasst? Ihr Blick heftete sich auf die unbekannten Zeichen, folgte der Schrift bis hinunter zu den schwungvollen Tintenarabesken, mit denen der Mandarin den Kontrakt besiegelt hatte.
    In diesem Moment fuhr ein Windstoß durch die Limmatgasse. Er wirbelte das Herbstlaub auf, fuhr durch Annas Kleider und erfasste das Papier, das unter ihren Händen plötzlich ein Eigenleben entwickelte. Es flatterte und zappelte, als ob es mit aller Macht aus der Mappe herauswollte. Anna presste es an sich, so festes ging. Der Wind wehte sie fast um. Taumelnd erreichte sie einen Hauseingang und drückte sich an die Wand. Die Haare peitschten in ihr Gesicht, eine alte Zeitungsseite tanzte mit dem Laub in Wirbeln um die Wette. Der Himmel hatte sich verfinstert. Es sah aus, als ob jede Sekunde ein Gewitter herunterkommen könnte. Ein gewaltiger Blitz schoss aus den Wolken. Mit zitternden Händen stopfte sie das Dokument samt der Mappe in ihre Tasche. Erst als sie sie fest verschlossen hatte, beruhigte sie sich etwas.
    Zur gleichen Zeit legte sich der Wind. Die Wolken teilten sich, und die Sonne brach durch. Sie verschwand bereits hinter den Giebeln der Häuser, doch der Himmel glänzte tiefblau. Anna wartete noch eine Minute, ob sie diesem plötzlichen Wetterumschwung auch trauen könnte. Dann ging sie wieder auf die Straße. Vom Goldenen Drachen fehlte immer noch jede Spur. Wahrscheinlich hatte der Mandarin sofort den Lampion entfernen lassen, und da die hübschen Häuser sich so ähnlich sahen, war es aussichtslos, das Lokal wiederzufinden.
    Ratlos kehrte sie zurück zur Bahnhofstraße und ließ sich von den

Weitere Kostenlose Bücher